Seelenkälte: Ein Fall für Suna Lürssen (German Edition)
fest. Ohne Spezialwerkzeug gab es keine Möglichkeit, durch die Fenster einzusteigen.
»Komm, Alter, lass uns nach Hause gehen«, drängte Janne. »Ich bin sowieso nicht besonders scharf drauf, in das alte Gemäuer reinzukommen. Den anderen sagen wir einfach, dass vor der Tür ein neues Schloss ist und die Fenster absolut dicht sind. Stimmt ja auch.«
Ole schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Irgendwie muss man doch da reinkommen. Das gibt’s doch gar nicht.« Er lief noch einmal die gesamte Rückseite des Gebäudes ab. Plötzlich blieb er stehen.
»He, Janne, komm hier rüber. Hier ist so ’ne kleine Tür in der Wand.« Er zeigte mit der Hand nach unten.
Neugierig näherte sich sein Freund, doch als er die winzige Metalltür sah, die in Bodennähe in die Wand eingelassen war, wich er erschreckt zurück. »Nee, das ist doch voll gruselig. Da will ich bestimmt nicht durch!«
»Gruselig, klar«, lachte Ole. Dann rief er mit tiefer Stimme: »Da haben sie früher die Toten durchgeschoben, die sie dann in der Konservenfabrik verarbeitet haben.« Er lachte noch einmal laut auf und begann, auf den Holzriegel einzutreten, der die Tür verschloss. Der schmale, faulige Balken hielt den Tritten nicht lange stand. Mit einem Knacken splitterten erst einige Stücke ab, dann brach er in der Mitte durch. Ole beugte sich nach unten und zog beide Flügel der Tür auf.
»Ha, siehst du, ich hab dir doch gesagt, dass wir da reinkommen!«, brüllte er triumphierend.
»Ole, hey, lass den Scheiß«, begann Janne noch einmal, aber Ole hatte sich schon auf den Bauch gelegt und robbte durch die schmale Öffnung.
»Hey, das ist echt krass hier drin, komm rein«, rief er von innen.
Janne wollte es nicht tun. Alles in ihm wehrte sich dagegen, durch die kleine Luke zu kriechen. Aber andererseits wollte er auch nicht als Feigling dastehen, und wenn Ole allen in der Schule erzählte, dass er in die Konservenfabrik eingestiegen war und Janne draußen gewartet und sich vor Angst fast in die Hose gemacht hatte, würden alle über ihn lachen.
Augen zu und durch, dachte er sich. Er holte einmal tief Luft, dann ließ er sich auf die Knie sinken und folgte seinem Freund.
Im Inneren der alten Fabrik herrschte dämmriges Licht. Obwohl durch die zerborstenen Fensterscheiben im Obergeschoss ständig eine frische Brise hereinkam, lag ein leichter Modergeruch in der Luft. Die Maschinen, die früher in der Fabrikhalle gestanden hatten, waren abmontiert und verkauft worden. Jetzt lag nur noch Schutt auf dem staubigen Boden. Wie Knochen in einem Skelett ragten die ebenfalls aus Backstein gemauerten Säulen empor, die der Halle Stabilität gaben.
Nachdem auch Janne sich durch die schmale Öffnung ins Innere geschoben hatte, stand er auf und drehte sich langsam um die eigene Achse, um alles in Ruhe begutachten zu können. Erstaunlicherweise fand er die Umgebung eher abstoßend als angsteinflößend.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte er, nachdem er alles angesehen hatte.
Ole verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Ich würde vorschlagen, jetzt feiern wir, dass wir reingekommen sind.« Er kramte in seiner Jackentasche und zog eine Schachtel Zigaretten hervor.
»Komm lass den Scheiß«, wehrte Janne ab. Er hatte zwar keine Angst mehr, fühlte sich in dem alten Bau aber trotzdem unwohl und wollte so schnell es ging wieder raus.
Ole schwenkte das Zigarettenpäckchen lachend hin und her. »Eine muss schon sein. Ey, die hab’ ich extra meinem Bruder geklaut. Für den Ärger, den ich dafür kriege, sollten wir uns auch was gönnen.«
»Jetzt reicht es mir langsam mit dem Schwachsinn«, fuhr Janne auf. »Ich will jetzt hier raus und nach Hause. Weißt du was, ich gehe jetzt. Und du hörst auch auf mit dem Scheiß.« Er griff nach dem Päckchen, entwand es Ole mit einer geschickten Handbewegung und schleuderte es mit aller Kraft in eine Ecke der Halle.
»Ey, spinnst du, Alter? Die sind teuer.« Mit einem empörten Schnauben machte sich Ole auf den Weg, um die Zigaretten zurückzuholen. Er lief in die Ecke, in der es etwas dunkler war als im Rest der Halle, und verschwand hinter einer Säule.
»Hier geht eine Treppe nach unten«, teilte er Janne mit. Noch bevor dieser dem Freund sagen konnte, dass er sofort zurückkommen solle, verschwand Ole in der Öffnung nach unten.
»Ey, krass! Hier steht ein Monitor. Das Ding ist brandneu, das gehört bestimmt nicht hierher«, drang kurz darauf seine Stimme nach oben zu Janne. »Das hat bestimmt einer
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