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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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ersehnte Botschaft erhalten, fahren sie mit quietschenden Reifen zu unseren Ehefrauen, um sie flachzulegen, zur selben Zeit, da wir unsere Freundinnen flachlegen, die wiederum die besten Freundinnen der Freunde unserer Ehefrauen sind. Die Liebe ist dabei längst auf der Strecke geblieben, alle leiden wie die Schweine, treiben einander gegenseitig vor Eifersucht fast in den Wahnsinn.
    Aber es geht uns ja allen gut dabei. Mit unseren Freundinnen lachen wir herzlich über unsere betrogenen Ehefrauen, während unsere Freundinnen ihren Freunden unsere rührenden
SMS zeigen. Und denen läuft es eiskalt über den Rücken vor so viel Zynismus und Abgeschmacktheit, weil sie begreifen, dass sie fast die gleichen SMS an unsere Ehefrauen schicken.
    Am Ende, wenn alles ans Licht kommt, wenn wir endlich verstehen, dass wir uns alle reihum betrogen haben, bleibt nur noch ein Ausweg – sich aufzuhängen.
    Dennoch wählen wir das Leben. Weil es einfacher ist. Wir versuchen bei jeder neuen Begegnung, uns einzureden, dass man uns einmal, ein einziges Mal, nicht betrügt, dass dieses eine Mal alles in Ordnung ist. Es erübrigt sich zu sagen, dass wir am Ende diejenigen sind, die am übelsten betrogen wurden.
    Ich merke, dass ich komplett besoffen bin. Mühsam erhebe ich mich und gehe in Richtung Ausgang. Den Gästen, an denen ich vorbeikomme, schneide ich eine Fratze und strecke der Hostess die Zunge heraus. Am Ausgang der Bar schnappe ich mir einen leeren Sektkübel und stülpe ihn mir über den Kopf.
    Dann drehe ich mich zum Gastraum um und sage laut: »Glaubt niemandem, Leute! Seid auf der Hut, man betrügt euch!«
    In diesem Moment müsste ich aussehen wie der Titelheld in dem Film Alexander Newski , wie er sich mit einem wütenden Schlachtruf in den Zweikampf stürzt. Tatsächlich fühle ich mich aber wie ein Tunfisch in der Konservendose, eingelegt in einer Soße aus meinem eigenen sentimentalen Rotz.
    Ich setze den Eimer ab und verziehe mich. Hinter mir höre ich das Klatschen eines einsamen Zynikers, den meine
Worte offenbar ins Herz getroffen haben. O Gott, warum akzeptieren wir nicht einfach die Tatsache, dass es ganz normale Menschen gibt? Warum fällt es uns so schwer, jemandem zu glauben?
    Ich weiß nicht, was ich mir mehr wünschen soll: ins Bett zu fallen oder in die Newa.
     
    Um zwölf Uhr mittags klopft es an der Tür. Ich mache auf – vor mir steht das Zimmermädchen.
    »Soll ich das Zimmer fertig machen?«, fragt sie schüchtern.
    »Nein …«, antworte ich und drehe mich um: ein verwüstetes Zimmer, ein Haufen zerknitterter Klamotten in einer Ecke, ein umgefallener Sessel, leere Flaschen und eine leblos von der Bettkante herabhängende Hand mit rot lackierten Fingernägeln.
    »Nein, nicht nötig, hier sind schon alle fertig.«

Zu Haus
    Zwei Stunden später sitze ich fit wie ein Turnschuh im Restaurant Moskau und schaue aus dem Fenster auf die Stadt Petersburg hinunter. Der Laden liegt im fünften Stock eines großen Business-Centers, was nach Moskauer Verhältnissen eigentlich voll daneben ist. Aber hier könnte man so ein Restaurant wahrscheinlich im sechsten Stock einer Tiefgarage aufmachen, es würde trotzdem laufen. Das Moskau ist tatsächlich ziemlich moskauerisch, sowohl was das wunderbar minimalistische Design angeht als auch die Musik, den Service und die Küche. Die Reihenfolge dieser Kriterien ist dabei wichtig, denn das Moskau ist ein sehr angesagtes Restaurant, und so ein Etablissement besucht man aus den unterschiedlichsten Gründen, nur nicht, um gut zu essen.
    Ich sitze an einem der Panoramafenster, schaue auf den Kreuzer Aurora, der in der Ferne auf der Newa dümpelt und trinke schon meinen zweiten Kaffee. Die bis zur Abfahrt des Zuges verbleibenden zwei Stunden vertreibe ich mir in Gesellschaft von Andrej, einem entfernten Verwandten, und seiner Freundin. Bezüglich letzterer Klassifizierung hätte ich vielleicht einige Fragen, aber der Einfachheit halber behalte ich sie lieber für mich.
    Andrej ist ein junger Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren, Student an der historischen Fakultät der Sankt Petersburger
Uni. In seiner Freizeit pflegt er sehr unterschiedliche Interessen, von der PR-Arbeit für diverse Clubs bis zum Handel mit teuren Alkoholika, von der Gestaltung der Internetseite seiner Fakultät bis zur journalistischen Tätigkeit. Im Großen und Ganzen ein junger und gebildeter Bursche mit kreativem Denkpotenzial und glänzenden Zukunftsaussichten. Mit anderen Worten, die Chancen, zum

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