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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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begehrtesten Promoter der Stadt zu werden oder im Koks zu versacken, halten sich ungefähr die Waage.
    Wir sehen uns ein paarmal im Jahr in Moskau oder in Petersburg. Dann erzählt er mir, was er in letzter Zeit alles erlebt hat, und ich höre ihm halb verärgert, halb wohlwollend zu. Verärgert, weil ich mich an mich selbst im Alter von zweiundzwanzig Jahren erinnere, an meine Begeisterung für blödsinnige Projekte, meine Vorliebe für immer die falschen Mädchen, mein Eintauchen in die Club- und Drogenszene. Wohlwollend, weil er, gemessen an den acht Jahren, die zwischen uns liegen, schon so viel begriffen hat, was mir erst sehr viel später klargeworden ist. Also kann man darauf hoffen, dass er es besser machen wird als ich. Außerdem bin ich ihm gegenüber immer ein wenig gereizt, weil ich für ihn eine unklare, mir wesensfremde und vollkommen grundlose Verantwortung empfinde, wie für einen kleinen Bruder. Ich genieße meine Rolle als Mentor, obwohl ich von vornherein weiß, dass er von meinen Belehrungen keinen Gebrauch machen wird. Irgendwie gibt mir das wohl einen morbiden greisenhaften Kick.
    Andrejs Freundin ist ein sehr ulkiges Mädchen. Als sie mal für ein paar Minuten auf die Toilette verschwindet, gibt er folgendes Statement über sie ab: »Sie sieht ein bisschen
dumm aus, aber eigentlich ist sie ziemlich auf Zack. Sie studiert an meiner Fakultät, hat aber schon eine Schauspielausbildung abgeschlossen, und jetzt hat sie eine eigene Tanznummer in einem Nachtclub. Außerdem ist ein Oligarch hinter ihr her. Stark, was?«
    »Oha! Aber was meinst jetzt genau mit ›auf Zack‹«, erkundige ich mich. »Sie tanzt ja wohl oben ohne, hoffe ich?«
    »Wieso das denn?«
    »Also, Andrej, eines musst du dir merken: Das Wichtigste im Leben sind große Frauenbrüste, wie schon Beavis sagt. Es gibt definitiv nichts Größeres!«
    »Ach, Mann, leck mich. Sie ist wirklich in Ordnung, was soll das Gefrozzel?«, bemerkt er und ist plötzlich gekränkt, obwohl er doch, seit wir hier im Moskau sitzen, ununterbrochen über sie herzieht.
    Da kommt sie schon zurück. Ein junges Ding, das auf Femme Fatale oder blutrünstiger Vamp á la Renata Litwinowa macht.
    »Andrej, hast du mir ein Dessert bestellt?«, sagt sie mit Schmollmündchen.
    »Du hast ja deinen Salat noch nicht gegessen.«
    »Ich möchte nicht mehr.«
    »Na komm, iss brav deinen Kohl auf«, lacht er. »Der wurde schließlich von Moskau bezahlt.«
    »Und wenn ich ihn nicht esse, was passiert dann?«
    »Dann wachsen dir Ballonbrüste. Oder du ziehst nach Moskau um«, kichert Andrej.
    »Idiot«, sie tut beleidigt. »Ich bin schon im Moskau.«
    »Das ist ein fataler Irrtum«, stelle ich richtig.

    Wir bestellen uns Desserts, rauchen, reden leeres Zeug. Im Stillen ärgere ich mich darüber, dass Andrej dieses Barbie-Püppchen mitgebracht hat, andererseits ist es mir auch wieder egal.
    »Wie ist das Dessert?«, frage ich, um das Gespräch in Gang zu halten.
    »Fabelhaft!« Sie spreizt die Fingerchen und zeigt, wie fabelhaft.
    »Du bist aber noch viel fabelhafter«, antwortet Andrej ganz gentlemanlike. Dafür fällt sie ihm sofort theatralisch um den Hals und knutscht ihn ab. Aber während sie die Zunge nicht aus seinem Mund kriegt, durchbohrt sie mich gleichzeitig mit ihren Blicken.
    Die ganze Szene wirkt auf mich eher komisch. Die beiden spielen mir hingebungsvoll die verliebten Jetsetter vor. Sie redet wie eine überkandidelte Quietschente aus irgendeinem Luxuskaufhaus, knautscht affektiert auf jeder Silbe herum und geizt nicht mit hohlen Modewörtern. Das Ganze könnte eins-zu-eins aus einer dieser schwachsinnigen Comedy-Sendungen stammen, in denen flaue Komiker Prominente imitieren. Genauer gesagt: Es sieht aus, als würden die beiden diese Komiker imitieren, die Prominente imitieren, und dabei bilden sie sich ein, extrem glamourmäßig rüberzukommen. Wie gesagt, die Szene ist wirklich komisch, auch wenn das nicht beabsichtigt ist.
    Sie sieht meinen roten Adidas-Sportanzug an und sagt:
    »Klasse Anzug hast du.«
    »Hmhm. Achtzigerjahre-Stil.«
    »Hör mal, Andrej«, plappert sie weiter. »Die Achtziger waren wirklich geil, schade, dass wir das nicht erlebt haben,
was? Geile Mode, jede Masse Glamour und so, Partys, Synthie-Pop, elektronische Musik, Disco, Modern Talking! Oj, ich finde das so super!«
    »Ja ja. Und billiger Portwein, Komsomol, KGB, und wenn man mit Dollars erwischt wurde, ging’s ab in den Knast«, entgegne ich. »Das war wirklich wahnsinnig

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