Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
abwechslungsreich gestaltet. Alkohol und Drogen ohne Ende, wahlloser Geschlechtsverkehr, außerdem schlecht geschlafen und noch schlechter gegessen. Insgesamt ganz ordentlich amüsiert.«
»Merkst du eigentlich, dass du langsam durchknallst?«
»Oh, sieh mal, das Mädchen hat eine Tasche von Gucci. Kostet anderthalb. Fragt sich nur, wer für ihre wahren Werte zahlt.«
»Anderthalb Hunderter?«
»Tausender, meine Liebe, Tausender. Du bist erstaunlich unverdorben. Tja, du meinst also, ich drehe durch?«
»Sag mal, was soll das eigentlich, wozu machst du das alles? Glaubst du, dass du diesen Zustand noch lange aushältst? Irgendwann wirst du ganz böse auf die Nase fallen. Warst du schon immer so, oder was willst du damit beweisen?«
»Ich weiß nicht – war ich irgendwann anders? Mal überlegen …«
Und während ich tatsächlich versuche, mich zu erinnern, wie ich als Zehnjähriger war, überfällt mich eine erste Welle der Aggressivität. Und schon hasse ich sie für den Versuch, an meinem Schicksal teilzunehmen, für ihre richtigen Fragen und für ihre feste, absolut ruhige Stimme. Auf den LCD-Bildschirmen läuft ein Clip von Lisa Minelli: »I’m losing my mind«. Ich erinnere mich, dass diese Version von den Pet Shop Boys stammt. Erstaunlich, wozu das Gedächtnis all diese unnützen Informationen speichert. Ich wippe mit dem Fuß und versuche mitzusingen, während Jula mir rauchend gegenübersitzt. Der Kellner bietet mir schon zum zweiten Mal ein Plaid an, an einem Tisch im Zentrum des Restaurants sitzen ein paar neunzehnjährige Mädchen, trinken Champagner und rauchen Zigaretten, verschleudern das Geld ihrer Eltern, das sie für Eis oder Kekse bekommen haben. Meine Suppe schmeckt sauer, vielleicht vom Schmand, und immer noch überlege ich, was ich jetzt sagen soll, beobachte gewissermaßen, in welche Richtung sich die Waagschale meiner inneren Befindlichkeit neigen wird. Ich strecke die Hand nach dem Feuerzeug aus, das auf Julas Tischhälfte
liegt, streife dabei mit dem Ellenbogen mein Whiskeyglas und werfe es um. Die Flüssigkeit ergießt sich über den Tisch, läuft an einer Falte der Tischdecke entlang und landet auf meiner Hose. Jula reicht mir ein paar Papierservietten, wobei sie sich sichtlich Mühe gibt, ruhig zu bleiben. Ich schaue in ihre grünen Augen, und mir wird klar, dass ich mich nicht länger beherrschen kann. Jetzt trifft es mich tatsächlich: I’m losing my mind .
»Hör mal, warum rufst du mich überhaupt an?«, bricht es aus mir heraus. »Wozu fragst du mich, wie ich mich fühle? Was hast du davon? Das meine ich ganz ernst: Was hast du davon? Wozu hast du mich aus dieser Kloake herausgeholt, stundenlang mit mir über mein beschissenes Leben gequatscht? Wozu? Was hast du davon, mit mir durch bescheuerte Kneipen zu ziehen und dir meine trostlosen Monologe anzuhören? Mein Geld brauchst du jedenfalls nicht, und auch keine abgeschmackten Präsente von Cartier-Tiffany-Alain-Silberstein und wie sie alle heißen. Oder doch? Und als Vorzeigemann brauchst du mich auch nicht, du gehörst ja nicht zur Szene.« Ich komme jetzt richtig in Fahrt.
»Also, was willst du von mir? Vielleicht bist du nicht ganz dicht? Ein alt gewordenes kleines Mädchen, das in seiner Kindheit nicht genug Krankenschwester gespielt hat? Oder ist es Mitleid? Großes, allumfassendes Mitleid? Möchtest du gern allen Menschen helfen? Bist du eine Samariterin, die sich in diesem Heim für psychisch Kranke namens Moskau ein geeignetes Objekt für ihr Mitgefühl ausgesucht hat? Aber dann sei vorsichtig, dein Mitleid reicht nicht für alle Patienten in diesem Laden, meine Liebe, es reicht nicht einmal für mich. Du wirst bei dem Versuch zugrunde gehen,
mich aus dieser Gehenna herauszuziehen, aus diesem Höllenschlund, der mein Leben sein will.
Oder ist es doch etwas ganz anderes? Vielleicht gibst du dich mit mir ab, weil du jemanden zum Ficken brauchst? Bist du vielleicht eine babylonische Hure? Eine Sklavin der Leidenschaft? Ein einfacher Junge vom Dorf reicht dir wahrscheinlich nicht zum Vögeln, was? Du möchtest einen sensiblen Ästheten, stimmt’s? Meinst du wirklich, ich bin der Richtige? Ein Prinz, geradewegs dem Fernseher entstiegen, samt intellektuellem Gepäck und dicken Eiern? Meinst du, die gibt es wirklich? Supersexy wie schwedische Pornodarsteller und romantisch wie Lord Byron, das brauchst du, was? Aber die gibt es nicht, meine Liebe. Die gibt es nicht! Männer ab dreißig sind entweder das eine oder das
Weitere Kostenlose Bücher