Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
dann überall die Flämmchen der Feuerzeuge, als wenn es von Glühwürmchen nur so wimmelt.
Als Antwort auf diese romantische Beschreibung entwickle ich lautstark meine Vorstellung vom folgenden Morgen. Wenn nämlich all diese wunderbaren menschlichen Glühwürmchen mit ihren leuchtenden Augen bei Tagesanbruch das Weite gesucht haben, kommen die Kinder zum Spielen in den Park und finden überall weggeworfene CDs. Vermutlich denken sie, dass in diesem Park so eine Art Ole Lukoje hausen muss, der sie jeden Morgen mit den Neuigkeiten aus der aktuellen Clubmusikkultur beschenkt, oder dass
jede Nacht ausgerechnet in diesem Bezirk ein verzauberter Schnee aus CDs niederrieselt. Und natürlich spielen die Glühwürmchen im Leben dieser Kinder eine sehr wichtige Rolle, doziere ich weiter. Erstens, weil sie prima Musik-CDs verstreuen statt gebrauchte Kondome oder Einwegspritzen, und zweitens, weil sie die Kinder an gute Musik heranführen, womit sie zur Popularisierung der einheimischen DJ-Kultur beitragen. Also können eigentlich alle zufrieden sein. Allerdings habe ich den leisen Verdacht, dass hinter all diesen Wundern bloß ein paar besonders schlaue Promoter stehen, die sich einen neuen Weg ausgedacht haben, die Produkte ihrer Künstler unters Volk zu bringen.
Als ich mit meinem Vortrag zu Ende bin, herrscht erst einmal Stille, dann kichern alle los. Damit bin ich zum Medienhelden des Abends ernannt. Alle lächeln mir zu und wollen mit mir trinken. Aber dieser Zustand hält ganze zehn Minuten an, genau so lange, bis ein anderer Witzbold die nächste superkomische Geschichte zum Besten gibt.
Auf dem Höhepunkt meiner Popularität kommt Mischa zurück an unseren Tisch und übergibt einem Kollegen, der besonders lange und konzentriert über meinen Witz gekichert hat, einen Umschlag. Der Kollege seinerseits fordert mich mit einem Zwinkern auf, ihm zur Toilette zu folgen. In der Annahme, dass es sich um einen Bekannten Mischas handelt, und weil ich gerade auf einer Welle allgemeiner Positivität und Brüderschaft schwimme, stehe ich auf und gehe mit.
In der Toilette schüttet er einiges von dem Pulver aus dem Umschlag auf die Glaskonsole über dem Waschbecken (diese banale Konsole ist der unentbehrliche Fetisch eines jeden Clubs, der etwas auf sich hält), und ich hacke den Stoff
mit meiner Clubkarte fein. Dann ziehe ich mir eine Line in die Nase, schniefe anschließend zünftig ein paarmal die Luft durch die Nüstern, damit sich das Pülverchen gut verteilt und sage nur ein einziges Wort:
»Hölle!«
Das Koks ist tatsächlich von ausgezeichneter Qualität.
Anschließend reiche ich den zusammengerollten Geldschein an meinen Schnupfkumpanen weiter. Im selben Moment fliegt die Toilettentür krachend auf, und zwei Typen stürmen herein, die ich wegen ihrer schäbigen Kluft zunächst für typische Diskobesucher aus dem Goljanowo-Viertel halte, die sich hierher verirrt haben. Aber lange kann ich darüber nicht nachdenken, denn der eine, ein stämmiger Dickwanst, gibt mir ohne lange zu fackeln direkt eins auf die Nase. Die ersten Gedanken, die mir mein vernebeltes Gehirn als Kommentar zu diesem blödsinnigen Vorgang liefert, lauten ungefähr so: Wieso haben die Türsteher solche Arschlöcher in den Club gelassen, und wieso erlauben sie denen auch noch, mit VIP-Gästen eine Schlägerei anzufangen? Was sind das überhaupt für Kolchosedeppen? Halten die das hier für eine Dorf-Disko? Verwechseln die mich mit dem Typen, der ihre Freundinnen zum Tanzen aufgefordert hat, oder weshalb der Stress?
Die rustikalen Kerle geben sich schnell zu erkennen. Der zweite Typ, der intelligente, leicht kaukasische Gesichtszüge hat, wedelt mit einem Ausweis vor meinen glasigen Augen herum und brüllt dazu:
»Föderaler Dienst für die Kontrolle des Drogenhandels! Keine Bewegung! Steh still, verdammte Scheiße! Ruhe, habe ich gesagt!«
Der Erste rammt mir im Takt dazu die Faust in die Rippen und brummt mir irgendwelche Drohungen ins Ohr, so was wie »Sei schön brav, sonst machen wir dich platt, du Arsch!« Als sie mir die Arme auf den Rücken drehen, erscheint ein dritter Mann in der Toilette, noch kleinwüchsiger als der erste, hebt den Umschlag auf, der bei der Rangelei auf den Fußboden gefallen ist, und stopft ihn mir in die Jackentasche. Jetzt dämmert mir endlich, dass es sich bei dieser Veranstaltung keineswegs um ein spaßiges Event nach Art des Hauses handelt. Nein, diese Typen haben ernsthaft vor, mein teuflisches Vergnügen in
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