Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
setzt ein, an die 15 Personen kommen aus den Kulissen gerannt und springen in den Saal. Sie stecken in künstlichen Weißbrotlaiben mit Löchern für die bemehlten (oder sonstwie beschmierten) Gesichter, in weißen
Strumpfhosen und plumpen, riesigen Schuhen. Kreischend hopsen sie vor der Bühne hin und her, reihen sich zu einer Polonaise auf und schieben sich durch die Menge. So geht es an die zwanzig Minuten. Die Weißbrotidioten schlängeln sich durch den Saal und veranstalten einen Höllenlärm, während einige besonders debile Zuschauer sich ihnen anschließen, und die ganze Zeit regnet es Konfetti, Brotkrümel und sonstigen Müll von der Decke herunter.
Das einzig Komische daran ist, dass die Menschenmenge angesichts dieses Schwachsinns dumm grinsend dasteht und begeistert in die Pfoten klatscht wie vierzehnjährige Kinder mit Entwicklungsverzögerung beim Anblick von ein paar bunten Luftballons. Neben mir höre ich ihre Kommentare:
»Super, was? Andrej ist echt genial!«
»Hypergenial! Beim letzten Mal hat er es Klebstoff regnen lassen, das war natürlich besser. Aber das hier ist auch nicht schlecht.«
»Ja, das mit dem Klebstoff war echt stark. Jemand hat mir erklärt, damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass die Mode sich schneller bewegt als das menschliche Denken.«
»Versteh ich nicht. Was hat das mit Klebstoff zu tun?«
»Weiß ich ja auch nicht. Er meint wohl damit, dass wir alle am Boden festkleben und uns nicht fortbewegen oder so. Und die Models rannten zwischen uns hin und her und symbolisierten den Lauf der Mode.«
»Also, ob da jemand am Fußboden festklebte, weiß ich nicht, aber der Klebstoff soll eine Masse teure Anzüge versaut haben. Warst du nah dran?«
»Nee, nicht wirklich. Ich war gar nicht da. Lenka hat es mir erzählt, und die hat es in irgendeinem Magazin gelesen.
Aber das muss eine supergeile Aktion gewesen sein, dafür kann man ruhig ein paar Klamotten versauen.«
»Finde ich auch …«
Ich stehe direkt hinter dem Pärchen, das diesen Dialog produziert und bepisse mich fast vor Lachen. Meine Güte, was für Idioten! Man zeigt euch einen großen Haufen angemalte Scheiße, kippt euch Urin über die Köpfe und nimmt euch für das Ganze auch noch hundert Dollar Eintritt ab. Und ihr steht mit offenem Maul in euren versauten, stinkenden Klamotten da und klatscht euch vor Begeisterung die Hände wund. Hinterher erzählt ihr euren Freunden, wie klasse man euch vollgepisst hat. Wenn der nächste dieser genialen Designer euch von oben bis unten mit Kuhscheiße vollkleistert und euch zweihundert Eier für den Eintritt abknöpft (wegen der höheren Logistikkosten), wird das der Knaller der Saison. Dazu spielt dann die Band Kasta ihren russischen Kraut-und-Rüben-Hip-Hop, und irgendjemand verkündet, dass man nur noch naturbelassene Klamotten trägt – klimaneutral und fair produziert und alles ohne Chemikalien, natürlich. Schweineteuer, aber es lohnt sich!
Sicher ist das bejammernswerte kulturelle Niveau des Auditoriums ein entscheidender Grund für den Erfolg dieser Show. Ich schätze, der Bildungsdurchschnitt der hier Versammelten liegt knapp über dem einer Busfahrkarte. Nahverkehr. Aber wen wundert das? Das Lehrmaterial für die Bereiche Kunst und Kultur an unseren Schulen umfasst ein paar kümmerliche Blättchen. Es ist kurios, aber leider Gottes eine Tatsache: Russische Reiseführer über Paris oder Mailand widmen fünfzig und mehr Seiten den Hotels, Boutiquen und Clubs und geben die ausführlichsten Beschreibungen
der aktuellen Modekollektionen. Aber mit den kulturellen Werten dieser Städte befassen sich nur wenige Spalten. Jeder Russe verzeiht es leichten Herzens, wenn er in seinem Reiseführer die Adresse des Museo del Prado nicht findet, aber er wird das Druckwerk gnadenlos in den nächsten Papierkorb pfeffern, wenn die Anschrift der nächsten Prada-Boutique nicht verzeichnet ist. Und deshalb werden unseren Freunden der Performance all diese scheißenden Künstler, urinierenden Poetessen und Klebstoff verspritzenden Modemacher aufs Auge gedrückt. Das Ganze nennt man dann »Russische Kunst«, und weil sie nichts anderes kennen, schlucken sie diesen pathologischen Firlefanz mit Begeisterung.
Jemand klopft mir von hinten auf die Schulter. Ich drehe mich um. Vor mir steht ein guter Bekannter, Sascha. Promotion-Spezialist, unverbesserlicher Frauenaufreißer und Szenegänger. Er hat zwei hübsche Mädchen dabei. Die eine ist sogar ziemlich klasse, mit guter Oberweite und
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