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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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sind jetzt ganz oben. In der Hinsicht bin ich Profi. Das ist genau der richtige Zeitpunkt, das rieche ich.«
    Während er spricht, sieht er mir tief in die Augen, und an den wichtigsten Stellen senkt sich seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. Kurz, er setzt sein gesamtes
rhetorisches Arsenal ein, mit dem er sonst die Pfeifen, die hier sitzen, um den Finger wickelt. Aber ich hab längst begriffen, dass es zwecklos ist, einem Menschen zu widersprechen, der das Wachstum des Internets mit dem Epitheton »wie ein Schwanz in der Hand« beschreibt. Also lasse ich ihn reden und sage zwischendurch immer mal:
    »Interessant, Alter, sehr interessant. Und was soll der Spaß kosten?«
    »Ach, Peanuts, nicht der Rede wert. Was braucht man dafür schon? Ein kleines Büro mieten, ein paar Computer anschaffen, ein bisschen Lohn für die Anfangszeit. Ich habe einen Businessplan aufgestellt; wenn du interessiert bist, können wir uns nächste Woche mal zusammensetzen und alles besprechen. Der Profit, der am Jahresende in unserer Tasche landet, wird jedenfalls kolossal sein, das verspreche ich dir.«
    »Also komm schon, Alter, wie viel? Vielleicht hab ich die Kohle ja gar nicht.«
    »Tja, wie viel? Vielleicht so um die zwanzigtausend.« Awdej sieht mir wieder in die Augen, er prüft meine Reaktion. »Vielleicht geht es auch mit fünfzehn, für den Anfang. Dafür dürften so um die Hundert Mille rausspringen. Genau kann ich es im Moment nicht sagen, aber so in etwa. Geil, was?«
    »Ja, super.« Ich gebe mir keine Mühe, meine Gleichgültigkeit gegenüber seinem superprofitablen Geschäftsprojekt zu verbergen, aber weil ich einsehe, dass ich auf Awdejs Erwartungen irgendwie reagieren muss, schlage ich vor: »Awdej, ich denke drüber nach und rufe dich dann an. Trinken wir noch was?«

    »Na gut, denk drüber nach«, seufzt er und macht seinerseits auch keinen Versuch, seine Enttäuschung zu verbergen. »Klar trinken wir noch was. Ich geh nur mal kurz aufs Klo. Bestell für mich mit.«
    »Vierhundert Gramm, was meinst du? Ich lade dich ein, Alter. Wir haben uns echt lange nicht gesehen …«
    »Was denn, du gibst einen aus?« Awdejs Augen leuchten jetzt wie Fackeln an Wotans Tafel. »Na gut, da kann ich wohl nicht Nein sagen. Ich muss morgen zwar arbeiten, aber was soll’s? Wir sehen uns schließlich nicht jeden Tag. Hast du noch Zigaretten? Meine sind alle.«
    Wir lachen gelöst und beschließen, den Abend im Klima von Eintracht und Harmonie zu beenden. Der Wodka kommt. Wir plaudern noch ein wenig über das Internet, erzählen uns gegenseitig ein paar Zoten aus dem Leben der Gegenkultur, und ganz allmählich lasse ich mich dabei volllaufen. Der nächste halbe Liter ist gerade gekommen, da merke ich plötzlich, dass es mir hier jetzt reicht. Awdej beginnt eben eine Geschichte über einen Kumpel, der im Internet Computer und Bürotechnik verkauft.
    »Bei denen hat mal ein Typ als Fahrer gearbeitet, der hieß auch Sascha …«
    Sofort verwickle ich mich in Mutmaßungen darüber, wer hier eigentlich Sascha heißt. Durch äußerste Anstrengung der nüchternsten Bereiche meines Gehirns komme ich schließlich zu der Schlussfolgerung, dass dieser Sascha nur mein Gesprächspartner sein kann, denn ich bin ganz bestimmt kein Sascha, das wüsste ich. Es kann natürlich auch sein, dass mein Gesprächspartner auch kein Sascha ist und sich bloß nicht an meinen Namen erinnert, und deshalb denkt er vielleicht,
ich wäre Sascha. Das bringt mich endgültig durcheinander. Solche Fragen kann man nicht in besoffenem Zustand beantworten. Also wackele ich bloß mit dem Kopf. Dieser komische Fahrer-Sascha geht mir sowieso am Arsch vorbei.
    Auch Awdej hat jetzt ziemliche Schlagseite, er stützt seinen Kopf auf die Hand, aber der Ellenbogen rutscht ständig von der Tischkante ab. Er kippt sein Glas um, gießt wieder nach, kippt es wieder um, schließlich steht er mühsam auf, brummt, er käme gleich wieder und schlingert in Richtung Toiletten davon. Ich nutze die Gelegenheit, rufe den Kellner, schiebe ihm das Geld für die Zeche zu und stehe auf. An der Tür holt mich Oparysch ein.
    »Hör mal … Irgendwas wollte ich noch von dir«, lallt er. Er ist randvoll wie beinahe alle hier nach zweiundzwanzig Uhr, sieht an mir vorbei ins Leere und versucht gequält, seine Wörter zu einem verständlichen Satz zusammenzufügen. »Kannst du nicht mal ein paar Hunis rüberschieben, wir haben nicht mehr genug Kohle für unseren Tisch … Wir sehen uns ja beim

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