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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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quasi.«
    Jetzt brauche ich eine Pause. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich darauf reagieren soll. Auf der einen Seite steht fest, dass in dem Laden allesamt Volltrottel sind. Aber es scheint mir nicht zweckmäßig, das morgen dem Generaldirektor ins Gesicht zu sagen.
    »Wowa«, beginne ich. »Du bist nicht zufällig gerade besoffen? Ich habe dafür wirklich vollstes Verständnis, es ist schließlich Wochenende, du hast Freunde, man zieht ein bisschen durch die Clubs.«
    »Ich bin vollkommen nüchtern, was denkst du denn? Ich habe Familie.«

    »Oder hast du vielleicht Drogen genommen? Hm? Komm schon, Wowa, wir haben ein bisschen Schnee geschnüffelt, stimmt’s? Du hast zufällig einen Blick in deine Nachttischschublade geworfen, vielleicht wolltest du deine Uhr reinlegen oder so, und plötzlich liegt da ein kleiner Umschlag, ja? Vorher nie gesehen, keine Ahnung, wie er da reingekommen ist! Und da hast du ein bisschen dran geschnuppert, und auf einmal war’s klasse Koks, was? Haha, alter Halunke, und weil es dir auf einmal so gut ging, da hast du dir gedacht, jetzt rufst du mal bei mir an. Richtig guter Trip, Wowa, voll drauf, was, Wowinchen? Alles klar, völlig normal, ich verstehe dich vollkommen!«
    »Aber ich … ich habe noch nie gekokst. Außerdem bin ich völlig nüchtern, ich habe noch nicht mal ein Bier getrunken. Ich habe hier eine Familie, meine Frau ist nebenan, verstehst du?«
    Da platzt mir der Kragen. Dieser Wowa geht mir doch echt auf die Nerven. Mit dem allergrößten Vergnügen würde ich ihm jetzt eins in die Fresse geben. In seine dumme, dämliche Fresse. Am besten direkt auf seine rote Säufernase!
    »Hör mal, du beknackter Spießer! Ich scheiße auf dein Bier und auf deine beschissene Familie. Habt ihr euch den Verstand aus der Birne gearbeitet? Kriegt bei euch eigentlich keiner mehr mit, wer wann was sagt? Ich war praktisch die ganze zweite Hälfte der Konferenz gar nicht anwesend. Ich bin abgehauen, verstehst du, was ich sage?«
    »Alles klar, logisch, gar kein Problem. Aber der Chef hat mir aufgetragen, dir mitzuteilen, dass du Montag nach Petersburg fährst. Ich habe sogar schon dein Reisebudget in Empfang genommen. Das Hotel ist gebucht. Wieso machst
du überhaupt so einen Stress? Was spielt das für eine Rolle? Dann warst du eben nicht da, na und, was geht mich das an? Willst du nicht nach Petersburg fahren? Sag schon! Keine Lust? Du fährst nicht und haust mich in die Pfanne oder wie? Und ich habe gestern den ganzen Tag überall rumerzählt, dass du deine Kunden immer genau überprüfst und die Arbeit deiner Verkäufer penibel kontrollierst. Was habe ich falsch gemacht, kannst du mir das mal sagen?«
    »Alles klar, Wowa, ich habe verstanden. Ich fahre nach Petersburg und fertig, mach dir keine Sorgen. Tschau, mach’s gut, Gruß an die Frau!«
    Ich lasse mich auf den Fußboden sinken und bedecke mein Gesicht mit den Händen. So sitze ich zwei, fünf, zehn Minuten. Dann packt mich plötzlich ein irrsinniger Lachanfall. Ich falle auf den Rücken und wiehere aus vollem Hals, bis mir die Tränen kommen. Ich packe das Telefon und schmeiße es unter wildem Gelächter gegen den Spiegel. Dann raffe ich mich auf, renne zum Kleiderschrank und fange an, Jacketts, Hemden und Krawatten herauszuzerren. Dabei lache ich immer weiter, bis ich fast ersticke. Ich singe »Der Zug nach Leningrad«. Ich gehe ins Bad und schmeiße von dort aus meinen Rasierapparat, Rasierschaum, Deo, Zahnpasta, Zahnbürste, Eau-de-Cologne und Aftershave auf den Klamottenhaufen. Die Flasche Aftershave knallt allerdings in den Schrank und zerbricht. Es zerreißt mich vor Lachen. Anschließend beginne ich ziellos durchs Zimmer zu rasen. So vergeht eine weitere halbe Stunde. Ich nehme die Fernbedienung für die Musikanlage und drücke auf »On«.
    »Wir sehen uns auf jeden Fall wieder, hörst du? Verzeih mir. Dort, wo ich jetzt hingehe, ist Frühling«, singt Delfin.
Montags ist im Büro nicht viel Betrieb. Ich bin seit elf Uhr da, offenbar einer der wenigen, der das Wochenende heil überstanden hat. Vielleicht sollte ich noch anmerken, dass der Arbeitstag eigentlich um zehn Uhr beginnt.
    Ich selbst habe allerdings einen fürchterlichen Kater: Kopfschmerzen, blutunterlaufene Augen, trockene Kehle, Sodbrennen, und, nicht zu vergessen, eine üble Alkoholfahne. Ich hätte die Finger von dem Wodka lassen sollen. Mit diesem Getränk verbinde ich seit meiner Studentenzeit nur schlimme Erfahrungen. Eigentlich hatte ich mir nach der

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