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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Hinterverpissdichingen oder Leckmichstadt oder was weiß ich für Sumpflöchern herbeigeströmt sind, geht diese ganze Pracht am Arsch vorbei.
    Diese Leute brauchen keinen Marmor, keine verzierten Holztüren und keine fünf Meter hohen Decken mit Stuck. Schweine gucken niemals zum Himmel, weil sie keinen Hals haben. Was sie brauchen, sind niedrige Decken, Dunkelheit und Nässe, damit keiner sieht, wie sie den verwesenden Leichnam der Stadt auffressen, einer Stadt, die ihnen fremd und gleichgültig ist.
    Ich liege in meinem Hotelzimmer im Newski Palace auf dem Bett und versuche mich zu überreden, endlich aufzustehen, unter die Dusche zu gehen und mich umzuziehen. Ich zappe viermal hintereinander durch sämtliche Fernsehkanäle, blättere den Miniguide des Hotelrestaurants durch (»Ein Paradies für Feinschmecker«), wo man übrigens nur Dreck vorgesetzt kriegt, dann stehe ich auf und schleppe mich mit dem Gang eines Galeerensträflings ins Bad. Bevor ich mich ausziehe, wähle ich die Handynummer des Direktors der Petersburger Repräsentanz, Wolodja Guljakin, dem seine Petersburger Pfründe offenbar dermaßen zu Kopf gestiegen sind, dass er es nicht einmal für nötig befunden hat, mich persönlich abzuholen und mir stattdessen einen einfachen Angestellten geschickt hat. Ich bitte ihn, in etwa vier Stunden unsere Petersburger Großhändler zu einer Besprechung zusammenzurufen. Dann lege ich auf und wünsche
ihm, dass er die Zeit bis zu unserem Meeting in Höllenqualen verbringt.
    Die Wanne füllt sich ganz langsam mit Wasser, dessen Farbe der der typischen Petersburger Hausfassade gleicht: rostbraun. Bereitwillig liefert mir mein Gedächtnis die passenden Zeilen aus der Hotelbroschüre: »Das Newski Palace ist ein Hotel der gehobenen Kategorie, ein Ort, den man allen Gästen der Hauptstadt des Nordens uneingeschränkt empfehlen kann.« Ich räume sämtliche Fläschchen mit Shampoo, Duschgel und flüssiger Seife von der Ablage vor dem Spiegel und leere ihren Inhalt in die Wanne. Rasch bildet sich eine dicke Schaummütze und deckt die rostige Brühe gnädig zu. Ich lege die Kleidung ab und steige in die Wanne. Dieser dicke Schaum erinnert mich an die Dreihundertjahrfeierlichkeiten der Stadt. Genau wie dieses Zeug das rostige Badewasser verbergen die frisch renovierten Fassaden der Häuser am Newski-Prospekt die trostlose Dürftigkeit der Höfe, die zerfallenen Treppenhäuser und schäbigen Wohnungen mit ihren schadhaften Leitungsrohren. Dahinter steht dieselbe Logik: Die einen verpassen ein paar Häusern und Schlössern einen neuen Anstrich und kassieren dafür 700 Millionen Dollar aus dem Staatssäckel, die anderen schließen nagelneue Kloschüsseln und Badewannen an die komplett verrottete Kanalisation an und vermieten das Ganze als Unterkunft gehobener Kategorie für 500 Euro die Nacht an die Gäste des »Palmira des Nordens«.
    Immerhin wirkt das warme Wasser nach der morgendlichen Beschleunigung entspannend und reinigend auf das Hirn. Ich bleibe etwa eine Stunde im Bad. Dann packe ich meine Tasche aus und ziehe einen frischen Anzug an. Meine
Laune hat sich deutlich verbessert. Eine halbe Stunde später trinke ich einen schnellen Kaffee in der Hotelhalle, rufe Ljoscha an, den dunkel bebrillten Liebhaber lauter Tanzmusik, und verlasse das Hotel.
    Unser Petersburger Büro ist in einer reizenden Villa aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts untergebracht. Ungeachtet des mehr als bescheidenen Mitarbeiterstabes von gerade mal acht Personen, umfasst die Gesamtnutzfläche der Räumlichkeiten gut hundert Quadratmeter, was sich aus Gründen der Sparsamkeit erklärt – oder so ähnlich. Das Gespinst der Mietkostenkalkulation war mir schon immer undurchsichtig.
    Die Mannschaft der Petersburger Niederlassung besteht aus dem Direktor Wolodja Guljakin, seiner Sekretärin, dem Marketingmanager, einem Fahrer, den drei Verkaufsmanagerinnen Dascha, Mascha und Natascha und einer jungen Dame namens Polina. Letztere übt eine nicht näher erkennbare Funktion aus, bekleidet jedoch den stolzen Rang einer Office Managerin (ich hege allerdings den Verdacht, dass dieser Dame vor allem amouröse Pflichten obliegen).
    Die Niederlassung hat mit dem Direktverkauf nichts zu tun, sie kontrolliert lediglich die Arbeit unserer Großhändler, die Marketingbudgets und Promotionaktivitäten. Das Kollektiv erinnert an eine Kolchose während des Krieges, als die Frauen auch die Arbeit ihrer Männer erledigen mussten, die an der Front waren. Meistens

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