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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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alle großen Petersburger Stadtmagazine (Gesamtzahl: 2) fett: »Unsere Szene erobert Ibiza« – »Petersburg gibt den Ton an!« Als wäre dieser kleine DJ das große Highlight der Ibizapartys. Dabei steht er bloß als einer unter Tausenden in einer Stranddisko herum und nuckelt einsam an seinem Whiskey-Cola.
    In der Stadt selbst passiert im Grunde genommen gar nichts. Alle schmoren im eigenen Saft, saugen sich immer wieder Gründe aus den Fingern, sich mit Freunden zu verabreden, um zum achtundvierzigsten Mal ein und dieselbe Klatschgeschichte zu erzählen und auf Moskau abzukotzen. Man knallt sich bei der nächstbesten Modenschau mit geschnorrtem Whiskey die Birne zu und verkündet zum x-ten Mal großspurig, dass man jetzt endlich nach Moskau geht – für immer. Faselt von irgendwelchen großen Geschäften, die man fix und fertig im Kasten hat, und dass man irre Profite abgreifen wird. »Nächstes Jahr komm ich zurück, und dann steckt ihr immer noch
in diesem Sumpf fest!« Man muss nicht extra betonen, dass keiner hier seinen Hintern tatsächlich hochkriegt und weggeht. Und eine Woche später spielt sich diese trostlose Geschichte in genau der gleichen Form wieder von neuem ab.
    So ist die ganze Moskau-Verachtung der Petersburger recht einfach zu erklären. Zum einen lebt man hier in der eigenen kleinen Welt, die sich allem Andersartigen vollständig verschließt. Es fehlen dieser so europäischen Stadt gänzlich Ereignisse europäischen Maßstabs. Zum anderen ist die ganze Petersburger Szene samt Events, Clubs und Restaurants nur eine verkleinerte Ausgabe der Szene in Moskau, wie sie vor fünf oder sechs Jahren aussah. Im Grunde läuft alles auf den Konkurrenzkampf zwischen den beiden Städten hinaus. So was ist nicht neu: Wir hassen das am meisten, was uns am stärksten anzieht, das, was wir neidisch nachahmen, was wir besitzen wollen – mit einem Wort: »Das Objekt der Begierde«. Und Neid tarnt sich fast immer als herablassende Verachtung.
    Ein weiteres Problem der Stadt Petersburg ist der Mangel an Geld. An städtischem Geld. Natürlich gibt es hier reiche und sehr reiche Leute. Aber die meisten Menschen sind arm. Die Löhne sind niedriger, es gibt weniger Verdienstmöglichkeiten. Das Schlimmste ist jedoch, dass die Leute gar nicht wirklich den Willen haben, zu arbeiten. Zu schuften und zu ackern oder wie immer man es auch nennen will. Und diese angeborene Faulheit und Behäbigkeit, diese Angst, sich zu überanstrengen, kann man mit keinem »bei euch in Moskau liegt das ganze Geld, ihr habt die Regierung, die Banken, ihr habt Putin« kompensieren. Die Moskauer,
die geschäftlich mit Petersburg zu tun haben, werden mir, denke ich, zustimmen.
    Darum ist es in Petersburg so modern, auf Pump zu leben. Du schuldest deinem Freund zweihundert, dein Freund schuldet seinem Freund zweihundert, und der seinerseits steht bei dir mit zweihundert in der Kreide. Dieser Kreislauf gegenseitiger Verschuldung ist die Grundlage vieler Beziehungen. Irgendwann werden dann alle Schulden erlassen, nur um ein paar Wochen später diesen Schulden-Status-Quo wiederherzustellen.
    Wenn man den hiesigen Lebensstil mal verstanden hat, dann wird einem klar, dass sich die Leute hier überhaupt nicht von den Moskauern unterscheiden. Sie sind genau solche Spießer, Szenegänger, kleine Angestellte oder einfach Nichtstuer. Es gibt nur einfach weniger Geld in der Stadt, folglich auch mehr Probleme und dazu jenen Minderwertigkeitskomplex als ehemalige Hauptstadt, der wie ein zentnerschweres Gewicht über allen Einwohnern hängt. Alle, die hier leben, leiden nur darunter. Es ist wie mit verarmten Adligen, die noch dieselben alten Ansprüche haben wie früher, aber keine Möglichkeit mehr, sie zu erfüllen. Deshalb hassen die Menschen sich selbst, und die Stadt, in der sie wohnen, hassen sie noch mehr. Die Stadt aber zahlt ihnen ihren Hass mit gleicher Münze zurück. Sie rächt sich dafür, dass man sie auf Knochen errichtet hat, dass man sie nicht liebt, dass man sie verlassen will.
    Eine Stadt, die einst von Menschen erbaut wurde, die all ihre Schönheit und Pracht achteten und pflegten; all ihre Schlösser und zauberhaften Villen, ihre Kanäle und Uferpromenaden, die Parks und Gärten. Sie unternahmen Spazierfahrten
in die Umgebung, bevölkerten an den Abenden die Theater, Opern und Restaurants. Einst strahlte die Stadt im Bewusstsein ihrer eigenen Würde.
    Aber diesen grob gestrickten Kreaturen, die heute aus allen möglichen

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