Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
taten sie das unter der Führung eines pfiffigen Kolchosevorsitzenden, der krankheitsbedingt nicht zum Militärdienst eingezogen wurde.
Die gesamte Fläche des Büros hat man klug in kleine Kämmerchen unterteilt, in denen sich die Frauen mit ihrem
umfangreichen Hab und Gut häuslich eingerichtet haben. Den lieben langen Tag trinken sie Tee oder Kaffee, nur gelegentlich unterbrochen von einem kleinen Telefonat mit der Zentrale in Moskau oder vielleicht sogar mit einem Kunden. Manchmal erinnert mich unsere Petersburger Niederlassung aber auch an ein Kreiskrankenhaus. Die weiblichen Kollegen jedenfalls haben in ihrer routinierten und uneiligen Betriebsamkeit etwas von typischen Provinz-Oberschwestern, deren Alter kein Mensch feststellen kann. Man landet mit seiner Schätzung immer irgendwo zwischen 32 oder 54. Das Kreiskrankenhaus ist eines dieser kleinen, sehr abgelegenen, mit wenigen leichten Fällen. Es riecht nach Sauberkeit, Alter, Verbandszeug und unwesentlichen Diebereien. Richtig, auch Diebereien haben ihren eigenen Geruch. Man riecht es ganz deutlich, wenn man in ein Kollektiv von kleinen Gaunern gerät. Wahrscheinlich produzieren ihre Poren ein besonderes Hormon, das nach Scham, Schwindelei und Angst riecht.
Angesichts der Pläne der Firmenzentrale, den Direktverkauf einzuführen, ist die Stimmung des Leiters dieses Petersburger Wohlfahrtsstifts verständlicherweise nicht die beste. Denn das bedeutet für ihn einerseits die Vergrößerung des Mitarbeiterstabs und des Marketingbudgets, andererseits aber die persönliche Verantwortung für die Einhaltung der Verkaufspläne, die man dann nicht mehr auf die Schlafmützigkeit der Großhändler abschieben könnte.
Tatendurstig schreite ich über die Schwelle des Büros. Diese ganz spezielle Atmosphäre von behäbigem Müßiggang weckt bei mir genau die entgegengesetzten Energien. Offenbar aus einer Art Widerspruchsgefühl heraus. Ich grüße
das Personal, das heute vollzählig anwesend ist und sich in der Diele versammelt hat. Nach amerikanischer Manier gebe ich jedem weiblichen Mitarbeiter die Hand. Ich könnte sie natürlich auch küssen, wie es die impulsiven Franzosen oder die ewig lüsternen Italiener tun, aber ehrlich gesagt, diese unförmigen Kröten mit dem Mund zu berühren, lässt es mir nicht gerade warm ums Herz werden. Nein, ich bevorzuge in diesem Fall entschieden die betont sachliche anglo-amerikanische Art.
Man freut sich, mich zu sehen, jeder sagt etwas Nettes zu mir, zum Beispiel »Willkommen« oder »Gute Reise gehabt?« oder »Wie gefällt Ihnen Petersburg?«, und ich kann in ihren Gesichtern deutlich den jeweiligen Subtext lesen: »Na ja, netter Kerl«, »typischer Hauptstadttrottel«, oder »Soll ich ihn fragen, ob sie mir den Schwangerschaftsurlaub zahlen oder nicht?« Und allen steht wie mit dickem roten Textmarker auf die Stirn gemalt die eine, alle verbindende Frage: »Was will der hier eigentlich?«
Wolodja Guljakin, dem die Gastfreundschaft förmlich aus den Poren trieft, kommt auf mich zu und drückt mir lange die Hand. Dies ist ein heikler Moment. Hätte er mich mit den anderen zusammen in der Diele empfangen, hätte er damit seinen Mitarbeitern zu erkennen gegeben, dass das Erscheinen des Moskauer Gastes ihn genauso verunsichert wie sie, und dass er als Erster voraneilt, den Treueeid zu leisten. Solche Unterwürfigkeit könnte seinen Häuptlingsstatus gefährden und würde zudem auch seine Position mir gegenüber verschlechtern. Wäre er aber einfach in seinem Arbeitszimmer geblieben, hätte ich das als Respektlosigkeit deuten und entsprechend hart reagieren müssen. Indem er
mir jetzt auf halbem Weg entgegenkommt, wie ein höflicher, aber souveräner Gastgeber, hält sich Wolodja perfekt im Rahmen des geschäftlichen Ehrenkodexes eines souveränen Business-Samurai.
»Herzlich willkommen in Petersburg«, sagt er und lächelt ölig.
»Danke, danke. Wie geht’s denn so? Konkurrenz im Griff?«
»So ziemlich, bisher alles tipptopp!« Neben »oki-doki« eine der wenigen anglo-amerikanischen Phrasen, die bei mir unmittelbaren Brechreiz hervorrufen. »Trinken wir einen Kaffee?«
»Natürlich, gern, Wolodja. Wann hast du die Besprechung mit den Großhändlern angesetzt?«
»Für zwei Uhr. Sie haben schon alle angerufen und gefragt, was ihr euch da in Moskau ausgedacht habt.«
»Ach, vergiss es«, sage ich und stimme mich auf seinen lockeren Ton ein. »Was sollen wir uns schon groß ausdenken? Wir sitzen ein paar Stündchen
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