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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Ochse!«, lache ich, nehme einen Zug und reiche ihm den Joint.
    »Na logo, nicht zu vergleichen mit deinem Job.« Mischa bringt routiniert die verrutschte Glut wieder in Position.
»Immerzu Partys und Clubs. Erstaunlich, dass man dafür in Moskau auch noch bezahlt wird.«
    »Mischa, eins kannst du mir glauben: Nichts wird zurzeit in Moskau besser bezahlt!« Ich spüre, wie ich mich langsam entspanne. Das Gras fängt an zu wirken. »Und, was hast du morgen für Pläne?«
    »Morgen? Nichts Besonderes. Einen kleinen Job, sonst nichts.« Mischa zieht die Hülse der Papirossa ab und knickt die Spitze ein. »Morgen soll ich zu den Matrosen.« Er nimmt einen Zug, bläst die Asche ab und gibt mir den Joint zurück. »Ich meine in die Nachimow-Marineschule. Denen soll ich den Server verklaren. Ich werde mich den ganzen Tag abrackern, fünf Kopeken kassieren, und dann verzieh ich mich wieder zu meinen Büchern.«
    »Warum verplemperst du einen ganzen Tag mit so einem Kleinkram?« Ich rauche den Rest und fühle mich bestens. Sattes Behagen fließt mir durch den Körper, ich räkle mich und versacke immer tiefer in meinem Sessel. »Reparier halt ein paar Server mehr, dann verdienst du auch was. Wo ist das Problem?«
    »Das Problem ist, dass ich nie anständig bezahlt werde«, sagt er und winkt resignierend ab. »Man kommt zur Arbeit und weiß von vornherein, dass die ganze Ackerei völlig sinnlos ist, weil man sowieso kaum Kohle dafür kriegt. Und die Chefs wissen, dass es ganz egal ist, wie viel sie dir zahlen, du wurstelst eh nur lahmarschig vor dich hin. Deshalb zahlen sie eben nur ein paar Kopeken.«
    Mischa ist anscheinend auch langsam high, seine Brille glänzt eine Spur heller, und er beugt sich ein wenig vor. »Das Paradoxe ist nur, dass sie nicht wissen, dass ich weiß,
dass sie mir nichts zahlen! Sie denken, ich sei einfach ein fauler Sack. Wenn sie wüssten, was ich über sie weiß, würden sie mich vielleicht auch anständig bezahlen!« Die Augen hinter seinen Brillengläsern funkeln. »Sie könnten mir doch zum Beispiel sagen: ›Mischa, wir verstehen Sie wunderbar, wir sind gar nicht so, wir schätzen Ihre Arbeit, hauen Sie ordentlich rein!‹ Dann würde ich anfangen nachzudenken! Capito?«
    Entweder zeigt das Gras jetzt seine volle Wirkung, oder ich habe im Laufe der Zeit gelernt, aus Mischas Wortsalat die richtige Bedeutung herauszusortieren. Jedenfalls kommt mir blitzartig die Erleuchtung:
    »Capito. Das übliche Dilemma, quasi das Standardproblem von euch allen hier: Du hast Pickel, weil du nicht fickst, und du fickst nicht, weil du Pickel hast. Die klassische Zwickmühle, stimmt’s?«
    »So was Ähnliches«, nickt Mischa zustimmend. »Was meinst du: Auf einem Bein kann man nicht stehen, oder?«
    »Ich würde sogar sagen: Je mehr Beine, desto besser steht man.« Mühsam krieche ich aus meinem Sessel hervor. »Sag mal, warum ziehst du eigentlich nicht nach Moskau?«
    »Seelenlose Stadt, euer Moskau«, sagt er und lässt den Tabak aus der nächsten Zigarette rieseln. »Wir haben hier die Wassili-Insel, die Newa, jede Menge Geist über den Wassern. Und was habt ihr? Boutiquen und Kneipen. Dazwischen die Christ-Erlöser-Kathedrale, die aussieht wie eine riesige Silikontitte, wie sie sich die alten Millionärsweiber einpflanzen lassen. Als würde die Stadt dann besser aussehen. So was nützt weder den Weibern noch der Stadt.«

    »Versteh ich nicht. Ist das so schlimm?« Vor meinem inneren Auge sehe ich ein Weib in rotem Sarafan, die hohe Mütze auf den goldblonden Haaren und zwei Christ-Erlöser-Kathedralen statt der Brüste. Die schöne Frau Moskau steht da, sieht mich eine Weile abschätzend an, dreht sich dann vorwurfsvoll weg und betrachtet das Schaufenster einer Boutique. »Hier gibt es doch auch jede Menge Boutiquen und Kneipen, oder etwa nicht?«
    »Na ja«, seufzt Mischa und lässt dicke Rauchwolken aus seinem Mund steigen, die mir seltsam grün vorkommen. »Wir haben nicht so viel Platz«, setzt er seinen Gedanken fort. »Außerdem hängt fast an jedem Haus eine Gedenktafel, und so was erzeugt eine gehobene Vergeistigung.« Er nimmt noch einen Zug, hält den Rauch zurück, reckt dann die Hand mit der Papirossa in die Luft und spricht feierlich: »Hier lebte Tschaikowski! Hier schrieb Mussorgsky Die Fürsten Chowanski !« Er stößt noch ein paar von den grünen Rauchwolken aus. »Wenn ich also vor einem Haus stehe, in dessen Erdgeschoss sich eine Boutique befindet, denke ich nicht darüber nach, welche

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