Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless
Fummel dieses Jahr modern sind, sondern ich denke über den Geist nach.« Er macht eine vielsagende Pause und spricht dann weiter: »Jenen Geist, den seine ehemaligen Bewohner diesem Haus als Vermächtnis hinterlassen haben.«
»Aha! Den Trick kenne ich!«, rufe ich und greife Mischas spöttischen Ton auf. »Den haben eure Makler ziemlich gut drauf. Wenn sie einem zum Beispiel für dreihunderttausend Grüne eine Wohnung mit verrosteten Rohrleitungen und feuchten Decken andrehen wollen. Davon erwähnen diese Halsabschneider in ihren Anzeigen natürlich kein Wort.
Aber dass Alexander Blok mal in dieser Wohnung gelebt hat, dass steht drin, sogar fett gedruckt. Auch wenn es nur drei Wochen waren. Und die Moskauer Einfaltspinsel gehen ihnen auf den Leim. So was nennt man mit lebendem Köder angeln, Mischa, bloß, dass der Fisch in dem Fall eine historische Persönlichkeit ist. Meinst du so was mit Geist?«
Der Rauch kitzelt angenehm in der Kehle, und im Halbdunkel des Raumes ist alles diffus und konturlos. Ich muss aufpassen, dass sich mir der Gesprächsfaden nicht verheddert.
»Du verstehst nur Bahnhof, Brüderchen. Aber mach dir nichts draus, so ist die Welt nun mal.« Mischa zwinkert mir verschmitzt zu und resümiert: »Es ist leichter, einen Geländewagen durch ein Nadelöhr zu bringen als einen Moskauer zur Vergeistigung.«
Wir lachen beide los, und jetzt bin ich es, der die Papirossa knickt. Ich feuchte sie unterhalb der Glut an, nehme einen Zug und reiche das Ganze weiter.
»Hör mal, was soll das überhaupt sein, diese verdammte Vergeistigung? Rauch du zu Ende, ich kann schon nicht mehr geradeaus gucken …«
Ich reiche Mischa den Joint, und er macht ihm mit zwei tiefen Zügen den Garaus. Sein Gesicht leuchtet noch ein wenig heller, er steht auf, gießt uns Tee ein, rückt sich die Brille zurecht und sieht mich mit dem Blick eines Menschen an, der einem Neandertaler erklärt, dass Bücher nicht dafür da sind, um damit Feuer anzumachen.
»Das kann man nicht erklären, das muss man fühlen! Auf der Ebene höherer Materie, verstehst du? Es ist entweder da oder es ist nicht da …«
»Meiner Meinung nach ist es bloß das Lieblingswort der Petersburger Intellektuellen, ohne jede konkrete Bedeutung. Eine Art Füllwort. So wie die Alkies hier auf den Höfen ständig ›ej Alter‹ sagen. ›Ej Alter, ich bin zum Kiosk, ej Alter, da war’ne Riesenschlange, ej Alter, ich sag dir.‹ Und bei euch heißt es eben anstatt ›ej Alter‹ so was wie ›Geist‹. Es klingt besser, hat aber exakt dieselbe Funktion. Eine Art Wortparasit …«
»Heee, Bruder, man kann nicht alles in einen Topf werfen. So einfach ist das auch wieder nicht. Hast du außer deinen Werbebroschüren eigentlich schon mal irgendwas gelesen? Zum Beispiel unsere Klassiker? Oder siehst du dir ab und zu mal den Sonnenaufgang an? Wenigstens von deinem Balkon aus? Hast du in deinem Leben schon mal ein Gedicht gelesen? Probier’s mal aus, vielleicht kapierst du dann ja was.«
»Was mir ganz besonders daran gefällt, sind diese ständigen Verweise auf die Klassik und die Lyrik. Nimm einen der Helden unserer Zeit, eine beliebige Figur unserer klassischen Schriftsteller, sei es Tschazki von Gribojedow, oder Puschkins Onegin, oder Lermontows Petschorin, alle suchten sie nach dem Sinn des Lebens, nach der Stätte des Geistigen und so weiter. Diese Suche dauert, vor allem, wenn man dich noch dazurechnet, inzwischen locker mal drei Jahrhunderte. Bis heute hat sich da nichts bewegt.«
»Mann, das ist wirklich schwierig mit dir. Du willst einfach nichts kapieren, weil du zu bequem bist. Aber die Wahrheit ist, dass sich die Idee der russischen Gesellschaft in der Suche nach der Vergeistigung entwickelt hat.« Mischa sieht jetzt todernst aus. »Das waren nämlich Menschen und keine
Kleiderständer! Versteh doch: Wenn die Menschen ihr Leben der Suche nach dem Sinn ihres Daseins widmen, wenn sie danach trachten, ihre Seele von materiellen Schlacken zu reinigen, dann wird ihr Leben von einem geistigen Licht erleuchtet, das der gewöhnliche Mensch nicht sieht. Aber euch könnte man unter Flutlicht setzen, ihr würdet trotzdem wie Blinde durch die Gegen tapsen und mit den Schädeln zusammenkrachen. Und dabei würdet ihr immerzu fragen: ›Oj, was ist das denn? Was hast du denn da für geile Klamotten an?‹«
Mischa sieht jetzt aus wie ein Richter bei der Urteilsverkündung. Er sitzt hoch aufgerichtet, den Rücken kerzengrade, und er durchbohrt mich über den
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