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Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless

Titel: Seelenkalt - Minajew, S: Seelenkalt - Duchless Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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keine Ahnung, wo man so eine Idee hernehmen soll. Der Unterschied zwischen den sozialen Schichten ist zu groß. Wenn diese nationale Idee gut für einen Oligarchen ist, dann taugt sie auch für den Tschuktschen mit seinen Rentieren, logo. Aber es gibt auch noch andere Bevölkerungsschichten. Oder willst du wieder alles aufs Erdöl schieben?«
    »Warte mal, warte mal, du bringst mich völlig durcheinander.« Mischa reißt mir die Schachtel Belomorkanal aus der Hand. »Und mach mal bisschen langsamer! Ihr zieht euch zu viel von diesem Ekelpulver in die Nase, da in eurem verpennten Dorf. Peng, immer mit dem Hammer auf den Schädel, dann braucht man nicht so viel nachzudenken, dann ist es scheißegal, wer man ist und wie man heißt – Mischa oder Mascha, spielt doch keine Rolle. Gewöhn dir das mal ab! Du bist hier in Petersburg, zu Besuch bei einem Vertreter der technischen Intelligenzija. Hier gibt es keine Schickimicki-Weiber, und Glamour kenne ich höchstens aus dem Radio. Wozu also diese Hektik?«
    »Schon gut, schon gut, entschuldige. In unserer Megapolis herrscht eben ein anderes Tempo, da heißt es: Wer zuerst kommt, frisst zuerst.«
    »Frisst? Mach keine Witze, Alter! Frisst du das Zeug jetzt neuerdings?«
    »He, halt mal die Luft an! Das ist doch bloß so eine Redensart. Also gut, wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, beim Erdöl. Also, Erdöl ist keine Idee. Die Idee ist, dass Menschen unterschiedlichen Einkommens ein zufriedenes Leben führen können und so die sozialen Spannungen wegfallen. Vereinfacht gesagt: Jeder lebt nach seinem Portemonnaie.
Der eine geht ins Edel-Restaurant Mario, wo man nicht unter 200 Grünen pro Nase rauskommt, der andere in die Bar Marik, wo man im Höchstfall zwanzig Dollar hinblättern muss. Und keiner muss sich dabei minderwertig fühlen. Die Freiheit der Wahl stärkt das Gefühl der sozialen Gerechtigkeit. Klar?«
    »Hmhm. Völlig klar. Du solltest allerdings nicht vergessen, dass das vielleicht grad mal auf euer Moskau zutrifft, da können die Leute zwischen Marik und diesem Dingsbumms wählen.«
    »Mario.«
    »Mario, genau. Aber in der Provinz sieht das anders aus. Da hast du die Wahl zwischen Baltika 6 und Baltika 9, und beides ist beschissenes Bier. Verstanden oder nicht verstanden?«
    »Das ändert nichts an der Sache. Ich habe ja gesagt, jeder soll Zugang zu den Dingen haben, die in seinem jeweiligen Milieu oder in seiner sozialen Schicht als erstrebenswert gelten. Bei den einen ist das eine Reise nach Sotschi, bei den anderen ein Maybach. Man darf nur nicht anfangen, Werbung zu machen. Und man muss die Leute so ansiedeln, dass nur Menschen mit vergleichbaren materiellen Möglichkeiten zusammenwohnen. Dann verschwinden die sozialen Spannungen, so wie in Amerika. Es gibt weiße Bezirke und schwarze und so weiter, verstehst du? Das ist Gerechtigkeit.«
    Mischa denkt nach.
    »Womit du schon wieder alles auf die materiellen Werte zurückführst«, sagt er dann ernst. »Du kapierst eben nicht, dass Russland vor allem den Geist braucht. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, verstehst du? Ich meine, wie im Mittelalter:
Das ganze Land geht in Sack und Asche, aber sonntags alle im weißen Hemd in die Kirche! Und das Volk sieht in seinem Landesherrn die einzige Instanz, die weiß, um welcher Sache willen wir uns alle bewegen. Wohin, ist unwichtig, das kann sich von Generation zu Generation unterscheiden. Hauptsache – um welcher Sache willen.«
    »Und?«
    »Um der höheren Gerechtigkeit willen.« Mischa raucht mit inbrünstigem Gesichtsausdruck den nächsten Joint an.
    »Und das heißt?«
    »Das heißt, die Gestalt des Präsidenten zum Beispiel müsste universale Güte, Barmherzigkeit und Volksnähe transportieren, also quasi eine allumfassende Figur, die ununterbrochen gegen das Böse kämpft. Wie Batman in den USA. Damit der letzte Alki darauf vertrauen kann, dass er beim Umtauschen seines Leergutes nicht beschissen wird. Batman fliegt und bestraft die Bösen. Dieser Batman müsste bloß so ein volkstümlicher Typ sein, der in die Sauna geht, mit seiner Freundin kifft, mal mit Kumpels einen hebt und so weiter. Und trotzdem wüssten alle, dass man ihn nicht mit jedem Kleinkram behelligen darf, weil er echt wichtige Sachen an der Backe hat. Wenn der nämlich wegen jedem Scheiß in Aktion treten müsste, dann hätten wir hier bald das totale Chaos. Prinzipiell aber könnte er jederzeit zuschlagen. Das muss allen klar sein! Dann würden die Menschen daran glauben, dass irgendwo

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