Seelenkuss / Roman
angenehmer ist.« Er kam näher und machte all ihre Bemühungen zunichte. Erstarrt, wie sie war, konnte sie sich unmöglich abermals fortbewegen. Er legte eine Hand an ihre Wange, und sein Daumen glitt sachte wie ein Schmetterlingsflügel über ihre Lippen. »Der Mann, mit dem du zusammen warst, ist so gut wie tot. Was macht mich anders als ihn?«
Ashe konnte nicht antworten. Ihre Verzweiflung sickerte aus der Graberde empor und kroch ihre Glieder hinauf wie eine faulige Flut.
Belenos streifte ihre Stirn mit seinen Lippen und atmete ihren Geruch ein. »Deshalb tötest du uns, nicht? Ich war in deinen Albträumen. Ich kenne deine Geheimnisse. Du bist bereits halb in den Tod verliebt. Er wirkt anziehend auf dich. Es ist sicherer, die Versuchung zu zerstören, bevor du dich zu denjenigen gesellst, die schon übergetreten sind.«
»Wieso hast du mich hergebracht?«, fragte Ashe zwischen zusammengepressten Zähnen. Sie wollte ihre Kraft zurück, wollte Waffen, um Belenos das tote Fleisch zu zerfetzen. »Was wolltest du in meinen Träumen?«
»Ich möchte deine Aufmerksamkeit.«
»Tja, die hast du. Was willst du?«
»Dich. Ich kann dir Freiheit versprechen. Keine Schuldgefühle mehr. Befreiung von der Bürde, eine Schlacht zu kämpfen, die du nicht gewinnen kannst. Du kannst nicht jeden beschützen, Ashe. Lass es! Lass dich gehen!«
»Und was dann? Sterben? Ewiges Blutsaugen?« Ihr wurde schwindlig. Der Boden schien ihr unter den Füßen wegzugleiten. Dieses Gefühl wurde von dem Entsetzen bestärkt, dass er sie viel zu gut verstand.
Belenos’ Lippen streiften das feine Haar an ihrem Ohr, als er sich hinabbeugte und flüsterte: »Denk an die Risiken, die du eingehst! Denk daran, wie du am Rande des Todes tanzt, gierig nach dem Adrenalinrausch, der dich lebendig macht! Du befindest sich schon in der Dunkelheit, Ashe. Gib ihr nach! Lebe von ihr!«
Er neigte sich tiefer und küsste sie auf die Stirn. Ashe krümmte sich, obwohl seine Lippen wärmer als erwartet waren, sein Kuss sanfter. Sein Mund strich über ihre Lider, ihren Mundwinkel, und dann nahm er sie ganz in die Arme.
»Weg von mir!«, murmelte sie. Sie konnte sich ihm nicht entwinden. Ihre Kraft war zu Staub zerbröselt, auf ihre Weise zu Asche geworden. »Ich gehöre nicht zu dir.«
»Noch nicht«, korrigierte er, und die Worte fuhren ihr bis ins Mark.
Dennoch war nichts Lüsternes an seinem Kuss. Er war behutsam, eine bloße Andeutung von Reißzähnen und Zunge. Ein Versprechen. Vergebung. Fast eine Segnung.
Als wüsste er, wie sie sich einen ersten Kuss von ihrem König wünschte.
Er gab sie frei, hielt ihr Gesicht aber weiter mit seinen Händen umfangen. Die Topas-Augen bannten ihre. »Wenn du meine dunkle Gabe annimmst, werde ich dich mit Freuden an meiner Seite behalten. Oder ich könnte dir letzten Frieden anbieten.« Sein Blick wanderte zu den Gräbern ihrer Eltern. »Oder ich würde dich einfach gehen lassen. Alle Möglichkeiten wären für mich akzeptabel, solange du mir gibst, was ich will.«
Ah, hier kommt der Haken!
Ihr Zynismus durchdrang den Zauber, mit dem er sie belegt hatte. Ashe schüttelte ihn ab, und tatsächlich ließ er sie los. Er hatte ihr hinlänglich zu verstehen gegeben, dass sie nur so weit gehen konnte, wie er es ihr erlaubte.
»Dein Untergebener sagte, dass du einen Erben willst.« Sie sprach es ungerührt aus, vielleicht um sich selbst wachzuschrecken. Was nicht funktionierte. »Spar dir die Mühe! Ich nehme die Pille. Ach nein, warte, Vampire können ja gar keine Babys bekommen. Wie es aussieht, gibt es noch einige Problempunkte zu klären.«
Er wandte sein Gesicht ab und lachte geradezu schüchtern. »Vielleicht, aber mit dem Kind, das deine Schwester geboren hat, öffnete sich ein ganzes Reich von Möglichkeiten, welche sich die Untoten nie erträumt hätten. Die Carver-Hexen sind in der Tat erstaunlich.«
Ashe verschränkte ihre Arme vor der Brust. »Vergiss es! Holly ist vergeben.«
Belenos schüttelte den Kopf kaum merklich, so dass der Schmuck erneut leise klimperte. »Natürlich. Caravelli ist ein formidabler Krieger und ein Liebling von Königin Omara, obgleich er ein sturköpfiger Untertan ist. Sogar ich zögere, ehe ich ihm die Frau nehme, weshalb ich zu dir gekommen bin. Du hast niemanden.«
Ich habe sehr wohl jemanden! Ich schlafe gerade neben ihm.
Doch wie lange würde es dauern?
Egal. Fünf Minuten mit Reynard sind mehr wert als eine Ewigkeit mit diesem Loser.
»Pech gehabt! Meine Kräfte wurden vor
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