Seelenkuss / Roman
zurückgehen lassen sollen, damit ich ihr nicht im Weg bin. Ist wohl besser, wenn ich verschwinde.«
Sie ist viel zu jung, um sich Sorgen über Dämonen und Jäger zu machen.
Reynard wünschte, er wäre Mac, der wusste, wie man mit einer Berührung und den angemessenen Worten Unterstützung spendete. Vorsichtig nahm er Edens Hand. Sie war klein und warm. Erschrocken und verärgert sah das Kind ihn an, weshalb er es sofort wieder losließ. Es begriff hoffentlich, dass er es nur freundlich meinte. »Deine Mutter braucht dich hier. Sie wünscht bloß, die Vampire würden sich von euch fernhalten, das ist alles.«
»Wieso hat sie dann Angst?«
Verdammt!
»Wenn sie ein klein wenig Angst hat, macht sie keine Fehler. Das ist einer der Gründe, aus denen sie so gut in dem ist, was sie tut.«
»Wie gefährlich sind die? Sag mir die Wahrheit!« Tränen schwammen in ihren Augen, auch wenn sie eindeutig zu sturköpfig war, um sie laufen zu lassen, denn sie kniff die Lippen fest zusammen.
Ihren Vater hat sie schon verloren.
Reynard schluckte, als die Welt des Kindes sich wie eine riesige Landkarte vor ihm ausbreitete. Überall am Horizont lauerten Unwetter und Drachen.
»Ich werde dir nicht weismachen, dass es nicht gefährlich ist, weil es gelogen wäre«, antwortete er und krümmte sich innerlich. »Aber ich werde bei ihr sein, was das Gleichgewicht zu unseren Gunsten verschiebt.«
Edens prüfender Blick erinnerte ihn an Anubis, der die Seelen der Toten wog. Dieses Mädchen prüfte ihn bis hinab zu seinen brandneuen Schnürsenkeln. »Du gibst ihr Rückendeckung?«
Zum Glück war das einer von Macs Ausdrücken, daher verstand Reynard, was Eden ihn fragte. »Ja, ohne Frage.«
Selbst wenn Ashe es noch nicht recht einsah.
Eden legte ihre Hand auf seine. »Das ist gut.«
Ihre Hand war halb so groß wie seine, die Nägel abgekaut und fleckig von blauer Tinte. Unter ihr wirkte Reynards klobig und rauh von langen Jahren, in denen er mit Kriegswerkzeugen hantierte.
Er war sich gewahr, welch großes Versprechen er gab. Er sollte lieber lange genug leben, dass er es auch halten konnte. Sein Bauch fühlte sich an, als würde er sein Erbe auf ein letztes Kartenblatt setzen. Noch nie war er ein Mann gewesen, der sich auf Gebete verließ, doch jetzt schien die Gelegenheit gut, es zu versuchen.
Im selben Moment kam Ashe ins Zimmer, der man deutlich anmerkte, dass sie nur mühsam die Beherrschung wahrte. »Wir müssen nach Hause, Spatz.«
Ihre grünen Augen wanderten von Eden zu Reynard und zurück zu Eden. Furcht legte sich über ihre Gesichtszüge.
»Es war recht leicht, euer Gespräch von hier mitzuhören«, eröffnete Reynard ihr, wobei es ihm leider nicht gelang, einen Anflug von Vorwurf zu unterdrücken. Er konnte es nicht vermeiden, dennoch bedauerte er es, sowie er Ashes beschämten Gesichtsausdruck sah.
Sie blinzelte hektisch. »Eden, du darfst keine Angst wegen dem haben, worüber wir reden …«
Eden sprang vom Sofa auf. »Ich bin froh, dass Captain Reynard uns hilft.«
Hierauf warf Ashe ihm einen erbosten Blick zu, der gleich wieder verschwand. Sie nahm ihre Tochter in die Arme und verbarg ihr Gesicht in den braunen Locken. »Wir besprechen das noch.«
Reynard runzelte die Stirn. Niemand machte Ashe härtere Vorhaltungen als sie selbst. Nur war es keine Lösung, dass sie sich selbst bestrafte.
Er erhob sich und folgte Ashe, die Eden zur Tür bugsierte. Auf dem Weg sammelte sie den Rucksack und die Jacke des Mädchens ein. Die Großmutter stand auf ihre Stöcke gestützt an der Tür, um sie zu verabschieden.
»Sei vernünftig!«, beschwor sie Ashe.
»Ich tue, was ich für das Richtige halte«, murmelte Ashe, die furchtbar erschöpft klang.
Reynard verneigte sich respektvoll vor der alten Dame. »Unterdessen werde ich Ihre Enkelin überzeugen, sich meiner Ansicht anzuschließen.«
Grandma Carver lächelte entzückt. »Und ich knalle euch zweien die Köpfe zusammen, solltet ihr das vermurksen! Ach ja, Ashe«, ergänzte sie und reichte ihr eine Papiertüte, »diese Talismane vertreiben Albträume, egal, ob es deine eigenen sind oder sie von jemand anders geschickt wurden. Schlaf gut!«
»Danke, Grandma.« Ashe umarmte sie und küsste sie auf die Wange.
Dann gingen sie. Draußen war die Luft kalt und klar. Während sie bei der Großmutter gewesen waren, hatte es geregnet. Genüsslich inhalierte Reynard den Duft des Frühlingsabends. Diesen scharfen, süßen Geruch hatte er vergessen gehabt und erstmals wieder
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