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Seelenkuss / Roman

Seelenkuss / Roman

Titel: Seelenkuss / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Ashwood
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der Sonne gefunden hatte, spielte er gemeinsam mit seinem Bruder Pirat. Im Spiel war er gerade ein entflohener Sklave, der sich unter der Treppenbiegung rechts vor der Salontür versteckte. Seine Eltern hatten ein paar enge Freunde zu Gast, mit denen sie in dem schönen Zimmer waren, welches Reynard und sein Bruder nur höchst selten betreten durften. Folglich verhielt Reynard sich still wie die sprichwörtliche Maus. Und so kam es, dass er trotz der Erregung des Spiels hörte, wie die Erwachsenen redeten.
    »Das Losverfahren des Ordens hat stets die Erben gefordert«, vernahm er seines Vaters Stimme. »Warum können sie nicht die jüngeren Söhne nehmen? Die Hexer-Familien sind schon hinreichend geschwächt, ohne dass man uns der männlichen Blüten beraubt.«
    Eine andere Stimme antwortete, eine trockene, grausame, bei der Reynard sich unwillkürlich noch tiefer in den Treppenschatten verkroch. »Wo bliebe der Dienst an der Pflicht, müsste man kein Opfer bringen?«
    Diese eine Frage, deren Klang einem Albtraum entsprungen schien, setzte sich in Reynards kindlicher Phantasie fest. Zu jener Zeit hatte er sich gewundert, welche Spiele die Erwachsenen trieben. Er hatte nicht geahnt, dass sein Bruder und er längst Figuren auf ihrem Spielbrett waren.
    Im Begriff, ihren Schachgefährten zu finden.
    Erst Jahre später, viele Jahre später, hatte er begriffen, dass sein Vater ebensolch ein Opfer gewesen war. Erstgeborene wurden vom Orden eingefordert, auf dass deren Familien zu schwach blieben, um gegen die herrschende Ordenselite aufzubegehren. Was sein Vater sagte, entsprang einem über Generationen gewachsenen Unmut.
    Letztlich war er imstande gewesen, seinem Vater zu vergeben, dass dieser gehofft hatte, Reynard würde die Rolle des Opferlamms auf sich nehmen – auch wenn der Wunsch in Erfüllung ging.
    Diese Erinnerung verfinsterte seine Stimmung zu sehr, als dass er noch die Nacht genießen konnte. Er breitete seine Gedanken aus und nahm sich von der atmosphärischen Kraft um ihn herum. Wind und Regen schenkten ihm ihre Energie, die sich in seinem Leib bündelte. Sie wirbelte in ihm, baute sich auf, bis er eine Hand hob, die Finger spreizte und sie mit derselben Leichtigkeit entließ, mit der Sterbliche seufzen.
    Der verkohlte Geruch von Magie stieg in die Nacht, bevor ein heller Fleck gleich über Reynards Fingern erschien. Flirrend breitete er sich aus, brannte ein Loch in die Dunkelheit. Aus dem Flecken wurde eine ausgefranste orange Scheibe. Reynard richtete seine gesamte Konzentration auf sie, zog an ihr und zerriss das Gewebe zwischen dieser Welt und der Burg. Kribbelnd huschte ihm die Magie über die Haut, füllte ihm Mund und Nase und floss ihm in die Glieder wie ein eisiger Wassernebel.
    Bald erinnerte das Portal an einen feurigen klaffenden Mund, in dessen Mitte die Burg einen mannsgroßen Schlund bildete. Reynard blinzelte in der Helligkeit und stieg durch die Öffnung.
     
    »Netter Zwirn«, stellte Mac fest. »Du siehst normal aus.«
    »Ich bin verkleidet«, entgegnete Reynard. »Sei’s drum! Ich bin hergekommen, um Bericht zu erstatten. Heute wurde Ashe in der öffentlichen Bücherei von einem Vampir angegriffen.«
    »Wie bitte?!«
    Reynard hatte eben in dem Quartier Platz genommen, das Mac sich mit Constance, seiner Vampirgeliebten, teilte. Das leidenschaftliche und dennoch bodenständige Glück der beiden strahlte auf ihre Unterkunft ab. Die Zimmer waren hell, modern, geräumig und sehr wenig kerkerhaft. Genau wie die Außenwelt war auch dieser Bereich von Farben belebt. Ein Korb mit Stricksachen stand neben Reynards Sessel. Glänzende Zeitschriften über Inneneinrichtung lagen aufgefächert auf einem gläsernen Couchtisch. Constance war die hübsche Gestaltung ihres Heims sehr wichtig.
    Mac nahm die Fernbedienung in die Hand und schaltete den Flachbildfernseher aus. Der Feuerdämon lag in einem großen schwarzen Lederfernsehsessel und hatte ein Hockeyspiel angesehen. Vielleicht war es gut, dass Reynard ihn dabei unterbrochen hatte, denn er roch, dass etwas brannte. Mac hatte die unglückselige Neigung, seine Umgebung in Brand zu stecken, wenn seine Lieblingsmannschaft verlor.
    »Allem Anschein nach spielt der König des Ostens eine tragende Rolle in unserem Melodrama. Der Vampir war sein Bote. Alessandro Caravelli und die anderen örtlichen Ordnungshüter bemühen sich, Näheres herauszufinden.«
    »Zum Geier mit Vampirpolitik! Und ich dachte, ich darf mal eine Viertelstunde Pause einlegen!« Mac

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