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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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unbemerkt in den Schatten der Hauswand zurück. Mit einem scharfen Laut entfalteten sich seine mächtigen Schwingen, soweit es ihm die Mauern erlaubten, er stieg halb auf die Hinterbeine, eine Vorderklaue hob sich beschützend über seinen reglos am Boden liegenden Seelenbruder. Der Anführer der Soldlinge gab seinen verbliebenen Männern einen Befehl. Plötzlich zischten Seile durch die Dunkelheit. Mit peitschenden Schwingen bäumte Cjar sich erneut auf, duckte sich unter den Schlingen weg, fuhr mit einem Schrei auf einen der Kerle los, der sich zu nahe herangewagt hatte. Ihr Anführer nutzte die Gelegenheit, packte den besinnungslosen Mann am Boden, zerrte ihn grob herum und hielt ihm ein Messer unters Kinn.
    » Wenn du nicht Ruhe gibst, Bestie, schneid’ ich ihm die Kehle durch. «
    Die Drohung und die dünne rote Linie auf der Haut seines Seelenbruders ließ Cjar erstarren. Er legte die Schwingen an und wich den Seilen nicht mehr aus, als sie abermals über ihn geworfen wurden. Sein klagender Schrei hallte in der Dunkelheit. Auch seinem Seelenbruder wurden die Hände gefesselt. Dann wurde er von zwei der Kerle rau auf die Beine gezerrt. Das Mondlicht ließ die kunstvollen Edelsteinlinien an seiner Stirn blutig rot blitzen, ehe sein Kopf auf seine Brust fiel. Sie glaubte, sein Stöhnen über den Stimmen der Männer zu hören, die sich in ihrem fremdartigen, harten Dialekt unter Gelächter zu ihrer Tat beglückwünschten.
    Ihr Anführer gebot ihnen scharf Ruhe. » Schaffen wir sie zum GônBarrá. Wir müssen uns beeilen! Sie will ihn in dieser verfluchte Höhle haben, bevor der Mond in seinem Zenit steht. «
    Die Hand an ihre Kehle gepresst, wankte sie zurück, bis sie gegen den warmen Leib eines Ragon stieß. Die Männer starrten sie in sichtlicher Verwirrung an. Sie war dabei gewesen, als Selorans Söldner ihn und Cjar gefangen genommen hatten. Ein entsetzter Laut kam aus ihrer Kehle. Es war alles ihre Schuld! Allein ihre Schuld! Sie tauchte unter dem Hals des Ragon hindurch und rannte blindlings zwischen den Bäumen davon. Hinter sich hörte sie noch Oqwens überraschten Schrei, mit dem er sie zurückzurufen versuchte, doch sie stürmte weiter, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen.
    Erst als der Schmerz in ihrer Brust sie zum Stehenbleiben zwang, sank sie gegen den Stamm einer Narlbirke, klammerte sich mit beiden Händen an ihm fest und presste die Stirn mit fest geschlossenen Augen gegen das Holz. Sie war für all das verantwortlich. Für Cjars Tod. Für das, was man ihm angetan hatte. Dafür, dass er sein Gedächtnis verloren hatte und sein Geist nun verwirrt war. Sie! Nur sie allein. Schluchzend wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen, um die Tränen zurückzudrängen, und versuchte, ruhiger zu atmen. Sie war in dieser Gasse dabei gewesen. Und sie hatte nichts, gar nichts getan, um ihm und Cjar zu helfen. Dafür gab es nur eine Erklärung; konnte es nur eine Erklärung geben: Sie hatte ihn verraten. Sie hatte sich an ihm dafür, dass er sie verletzt hatte, gerächt und ihn verraten! Und dann hatte sie die Söldner zu ihm geführt. Warum sollte sie sonst dabei gewesen sein? Warum sollte sie sonst tatenlos zugesehen haben? Sie rutschte am Stamm der Narlbirke entlang zu Boden und schlang die Arme um sich. Sie war schuld! Verzweifelt presste sie die Stirn auf die Knie und schloss erneut die Augen. Plötzlich wollte sie nicht mehr wissen, was noch in ihren Erinnerungen verborgen war. Welche Rolle sie bei dem gespielt hatte, was in dieser Höhle in den GônBarrá geschehen war. Am Ende war sie es gewesen, die… Sie presste die Lider fester zusammen und weigerte sich, den Gedanken weiterzudenken; wollte sich gar nicht mehr erinnern.
    Beinah war sie dankbar dafür, dass in diesem Moment Schritte hinter ihr laut wurden. Hastig hob sie den Kopf und fuhr sich mit der Hand noch einmal über die Augen, um auch die letzten Tränenspuren auszulöschen, ehe sie sich umdrehte. Oqwen blieb ein kurzes Stück entfernt stehen und musterte sie. Dann streckte er ihr die Hand hin, um ihr vom Boden aufzuhelfen. » Kommt! Wir müssen weiter, sonst bleiben wir zu weit hinter den anderen zurück. « Zu ihrer überraschenden Flucht von zuvor sagte er nichts. Sie folgte ihm widerspruchslos zurück zu den anderen Isârden. Die Art, wie die Krieger ihr entgegensahen, kündete deutlich von ihrer Verwirrung, doch wie Oqwen schwiegen sie. Von der Bahre war nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatten die Männer sie in ihre

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