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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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uns tragen, wird sie anlocken wie eine Flamme die Motten. Und sie werden alles tun, um sich von ihm zu nähren. « Ihre blaugrün schillernden Augen schauten ihn einen Moment voller Entsetzen an, dann nickte sie.
    Er hielt ihren Blick noch einen Herzschlag mit seinem fest, dann ließ er sie los und stieg über den Bootsrand in das flache Wasser. Sofort biss eisige Kälte durch seine Stiefel. Der Nebel wirbelte um seine Beine, während er angestrengt lauschte. Außer ihren angespannten Atemzügen war kein Laut zu hören. Die Stake abermals wie eine Lanze in der Hand, watete er über groben Kies und Steine zum Ufer hinauf, das Boot neben sich. Bei jedem Schritt sah er sich wachsam um. Je weiter er sich dem Ufer näherte, umso undurchdringlicher wurde der Nebel, bis er Javreen so sehr an den Schleier erinnerte, dass jeder Muskel in seinem Körper sich in dumpfer Angst verkrampfte. Der Bug stieß mit lautem Kratzen auf den Strand und lag still. Darejan kletterte ebenfalls aus dem Boot und versuchte ihm zu helfen, es höher auf das flache, steinige Ufer hinaufzuziehen. Doch selbst mit vereinten Kräften gelang es ihnen nicht. Es war, als hätte der Nachen einen eigenen Willen und zudem die Macht, ihn durchzusetzen. Auch die Ruderstange in seiner Hand bebete und ruckte in seinem Griff, bis er sie ins Boot zurücklegte. Javreen verfluchte sich nicht zum ersten Mal selbst dafür, dass er nicht versucht hatte, die alte Klinge aus dem Cordán mit in die Welt jenseits des Schleiers zu nehmen. Doch das Gift hatte so rasch gewirkt, dass er keinen klaren Gedanken mehr hatte fassen können. Schon mehrfach hatte er sich gefragt, ob er bei seiner Zubereitung nicht vielleicht irgendeinen Fehler gemacht hatte. Er biss die Zähne zusammen und verdrängte den Gedanken. Selbst wenn, wäre das derzeit sein geringstes Problem. Seit er das Ufer auf dieser Seite des KaîKadin betreten hatte, war da ein Gefühl, als würde er beobachtet. Eine… Präsenz… Eine Seele, die um seine herumzustreichen schien. Gerade am Rand dessen, was er spüren konnte, und dennoch knapp außerhalb seines Geistes… Zudem grub sich das kalte Brennen der zerstörten Rune über seinem Herzen immer tiefer in seine Brust und erinnerte ihn erbarmungslos daran, dass die Magie erloschen war, die ihn in dieser Welt hätte beschützen sollen. Wie alt und abgenutzt das Schwert auch sein mochte, das vor unendlich langer Zeit die erste Klinge der Seelen geführt hatte: Es trug einen Anoranit im Knauf und hätte ihm hier gute Dienste leisten können. So blieben ihm nur seine bloßen Hände und sein Verstand. Er warf einen schnellen Blick zu der fahlen Mondscheibe, die sich inzwischen von dem Felskamm der BanOseren gelöst hatte, dann wandte er sich zu Darejan um, die fröstelnd neben ihm stand und in den Nebel blickte. Er wusste nicht, wohin sie gehen mussten. Hier entschied der Wächter der Seelen, was geschah. Aber je tiefer sie in sein Reich eindrangen, umso eher war er gezwungen zu handeln. Er konnte es nicht dulden, dass sie– die sie noch zu den Lebenden zählten– hier waren.
    » Lass uns gehen. «
    Sie ergriff die Hand, die er ihr entgegenstreckte, offenbar nur zu gerne. Doch als er sie vom Ufer fortführen wollte, zögerte sie und blickte zu dem Boot, das lautlos auf den dunklen Wellen trieb.
    » Es wird nicht mehr da sein, wenn wir zurückkommen, oder? «
    » Ich fürchte, nicht. Aber wenn wir haben, was wir wollen, wird der Weg zurück einfacher. « Er drückte noch einmal ihre Hand und ging dann mit ihr in die fahle Trübe des Nebels hinein.
    Der flache Strand aus Kies und groben Steinen begann schon nach wenigen Schritten langsam anzusteigen, wurde nachgiebig und zäh, als wären sie unvermittelt in einen Sumpf geraten.
    Alles war unter einer Schicht fahlsilbernem Weiß verborgen, das träge um ihre Füße wirbelte und sich nur selten genug öffnete, um zu offenbaren, was sich tatsächlich unter ihr befand. Und wenn sie es dann tat, glänzten da nur Morast und schwarze flache Tümpel, auf deren Oberfläche lautlos Luftblasen zerplatzten. Nur manchmal reckte schwarzes Schilfgras seine dünnen, feucht glänzenden Halme aus dem Grau und warnte sie, ehe sie den ersten Schritt in ölig schimmerndes Wasser gemacht hatten und es eisig ihre Stiefel durchdrang. Zuweilen streckten schief gewachsene Bäume ihre knotigen, krummen Äste aus dem Nebel heraus. Flechten und Moose hingen von ihnen herab und bewegten sich von Zeit zu Zeit in einem nicht zu spürenden Luftzug.

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