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Seelenkuss

Seelenkuss

Titel: Seelenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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In klaffenden Spalten in dem schwarzen Holz wucherten Pilze. Die Welt um sie her hatte jede Schattierung von Grau. Andere Farben gab es nicht. Eine seltsame klamme Kälte hing in der faulig schmeckenden Luft. Es war vollkommen still. Selbst das Geräusch ihrer eigenen Schritte wurde vom Nebel verschluckt.
    Immer wieder tauchten unvermittelt Gestalten vor ihnen aus dem Dunst auf. Einige standen einfach nur reglos da, während andere leise klagend umherwanderten. Einmal kniete ein junger Mann an einem der Tümpel und versuchte mit bloßen Händen unter Schluchzen, das schwarze tote Wasser herauszuschöpfen. Ein sinnloses Unterfangen, denn es lief sofort durch schmale Rinnen, die es bereits in den Morast gewaschen hatte, in ihn zurück. Auf der anderer Seite stand eine zierliche junge Frau und sah ihm voller Trauer bei seinem verzweifelten Tun zu. In ihrem Haar hingen Schilfgras und Morast. Ihre Kleider klebten ihr nass auf der Haut, und ihr sanft gerundeter Leib kündete davon, dass sie ein Kind erwartet hatte. Der junge Mann schien sie nicht zu bemerken, doch die Frau hob den Blick und sah sie an. Javreen zog Rejaan hastig an den beiden vorbei.
    » Nicht! « Im allerletzten Moment konnte er verhindern, dass sie sich nach ihnen umsah.
    Sie zuckte unter seinem Zischen zusammen. » Was haben die beiden getan? «
    » Sie hat nichts getan. Er ist der, der seine Schuld zu büßen hat. Aber was er getan hat, kann ich dir nicht sagen. Wahrscheinlich hat er sie umgebracht. Vielleicht aus Eifersucht ertränkt. Und da sie ein unschuldiges Leben in sich trug, wiegt seine Tat ungleich schwerer. Komm weiter! «
    » Ist das seine Strafe? Den Tümpel mit bloßen Händen ausschöpfen? «
    » Vermutlich. « Er zog sie vorwärts. Die Art, wie sie sich gegen seine Hand stemmte, erinnerte ihn an ein Fohlen, das sich gegen den Führstrick wehrte.
    » Er wird es so niemals schaffen « , stellte sie voller Mitleid fest.
    » Vielleicht doch, wenn der Wächter der Seelen der Meinung ist, dass er genug gelitten hat. Aber es ist weder deine noch meine Aufgabe, ihm das zu sagen. Komm endlich! Es ist nicht gut, sich zu lange in der Nähe solcher Seelen aufzuhalten. Vor allem nicht für uns. «
    » Warum nicht? «
    Mit ihren hartnäckigen Fragen erinnerte sie ihn an die beiden Novizen, die zwei Vollmonde, bevor er nach Kahel aufgebrochen war, in den Horst gekommen waren. Er blieb stehen und wartete, bis sie neben ihm war, damit er sich nicht umdrehen musste. Der Wunsch, zurückzusehen und den Blick wachsam durch den Nebel gleiten zu lassen, wurde mit jedem Schritt zwingender. Vor allem, da dieses Gefühl jener Präsenz am Rand seines Geistes immer stärker wurde. Ein paar Mal hatte er geglaubt, sie deutlicher zu spüren, sie zu erkennen. Sie war ihm in diesen kurzen Augenblicken so vertraut erschienen, dass der Schmerz, der in diesen winzigen Momenten durch sein Inneres gefahren war, ihm beinah die Tränen in die Augen getrieben hatte. Doch diese Seele konnte nicht hier sein. Einmal mehr schüttelte er diesen Gedanken ab und sah Rejaan an.
    » Die Seelen hier sind gefangen in einer Welt voller Hoffnungslosigkeit und Trauer, ohne zu wissen, ob sie jemals aus ihr erlöst werden. Das Leben, so wie wir es noch in uns tragen, in ihrer Nähe spüren zu müssen, steigert ihre Qual noch weiter. « Begreifen trat in Rejaans Blick, und er sprach nicht weiter, sondern nickte nur schweigend und setzte seinen Weg fort. Beinah wäre er in den nächsten Tümpel getreten, doch er bemerkte gerade noch die schmalen Grashalme, die ihre Spitzen aus dem Nebel reckten. Er folgte ihnen um das Wasserloch herum. Eine heftige Bewegung unter seiner Oberfläche ließ ihn und auch Rejaan unwillkürlich einen hastigen Schritt zur Seite machen. Einen kurzen Moment wirbelte der Nebel auf und gab die Sicht auf etwas in der Tiefe frei, das schwärzer war als das Wasser selbst, dann legte sich das Grau wieder über den Tümpel und verbarg ihn erneut vor ihren Blicken.
    Javreen führte Rejaan rasch weiter. Ein seltsames Gefühl hatte ihn beschlichen… Was auch immer in diesem Wasserloch sein mochte: Es war gefährlich. Er wusste nicht, was es war oder ob es sie bemerkt hatte, aber er wollte nicht hier warten, um es herauszufinden. Dass auch jene andere Präsenz wieder um seinen Geist strich, machte es nicht besser. Die Hand fest um seine gelegt, hielt sich Rejaan dicht an seiner Seite.
    Unter den grauen Wirbeln wurde aus dem weichen Morast nach und nach Erde und Geröll. Raue Felsen

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