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Seelenlos

Seelenlos

Titel: Seelenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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beobachtet dich«, sagte er und deutete hinter mich.
    Als ich mich auf meinem Stuhl umdrehte, sah ich den Kater drei Meter hinter mir. Er hockte auf einem der Balken, die das Verandadach tragen.
    Chester hat ein orange-rötliches Fell mit schwarzen Tupfen. Seine Augen sind so grün wie im Sonnenlicht funkelnde Smaragde.
    Für gewöhnlich schenkt Terrible Chester mir und allen anderen Besuchern nur einen flüchtigen Blick, so als würden ihn Menschen unerträglich langweilen. Allein mit seinen Augen und seiner Haltung kann er ein so geringschätziges Urteil über die Menschheit ausdrücken, dass selbst ein minimalistischer Autor wie Cormac McCarthy für dieselbe Wirkung zwanzig Seiten bräuchte.
    Noch nie war ich für Chester derart von Interesse gewesen. Er hielt meinem Blick stand, wandte nicht den Kopf ab, blinzelte nicht und fand mich scheinbar so faszinierend wie einen dreiköpfigen Außerirdischen.
    Obwohl er nicht sprungbereit aussah, fühlte ich mich unbehaglich dabei, ihm den Rücken zuzuwenden. Noch unbehaglicher wäre es jedoch gewesen, ihn anzustarren, bis einer von uns beiden wegschaute. Er würde das ganz bestimmt nicht sein.
    Als ich mich wieder zum Tisch umdrehte, nahm Ozzie sich gerade die Freiheit, mir noch eine Portion Kartoffelgratin auf den Teller zu häufen.
    »So hat er mich noch nie angestarrt«, sagte ich.

    »Das hat er schon die ganze Zeit getan, als wir in der Küche waren.«
    »Da hab ich ihn gar nicht gesehen.«
    »Als du nicht hingeschaut hast, ist er hereingeschlichen, hat mit der Pfote den Schrank unter dem Spülbecken aufgemacht und sich darin versteckt.«
    »Er muss flink gewesen sein.«
    »Ach, Odd, er war ein fürstlicher Kater, blitzschnell und ganz leise. Ich war so stolz auf ihn. Sobald er im Schrank war, hat er mit dem Körper die Tür aufgehalten und dich aus seinem Versteck heraus beobachtet.«
    »Wieso haben Sie nichts gesagt?«
    »Weil ich sehen wollte, was er als Nächstes tut.«
    »Wahrscheinlich geht es dabei um Schuhe und Urin.«
    »Nein, das glaube ich nicht«, sagte Ozzie. »Das ist etwas ganz Neues.«
    »Sitzt er immer noch da oben auf dem Balken?«
    »Ja.«
    »Und beobachtet er mich auch immer noch?«
    »Aufmerksam. Möchtest du ein süßes Teilchen?«
    »Ich habe irgendwie den Appetit verloren.«
    »Sei doch nicht töricht, Junge! Etwa wegen Chester?«
    »Er hat etwas damit zu tun. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem er genauso aufmerksam war.«
    »Hilf mir mal auf die Sprünge.«
    Meine Stimme wurde unwillkürlich heiser. »Im August … Sie wissen schon.«
    Ozzie stach mit seiner Gabel in die Luft. »Ach, du meinst den Geist.«
    Im August des vergangenen Jahres hatte ich entdeckt, dass Terrible Chester – genau wie ich – jene bekümmerten Seelen sehen kann, die auf dieser Seite des Todes verweilen. Den Geist,
anhand dessen mir das klar geworden war, hatte er nicht weniger aufmerksam betrachtet als nun mich.
    »Du bist nicht tot«, versicherte Ozzie mir. »Du bist so massiv wie dieser Rotholztisch, wenn auch nicht so massiv wie ich.«
    »Vielleicht weiß Chester etwas, das ich nicht weiß.«
    »Lieber Odd, weil du in mancher Hinsicht so ein naiver junger Mann bist, weiß er bestimmt vieles, was du nicht weißt. Woran denkst du denn?«
    »Es könnte sein, dass meine Zeit bald abgelaufen ist.«
    »Bestimmt ist es etwas weniger Apokalyptisches.«
    »Zum Beispiel?«
    »Hast du irgendwelche toten Mäuse in den Hosentaschen?«
    »Nur ein totes Mobiltelefon.«
    Ozzie betrachtete mich ernst. Er machte sich offenbar echte Sorgen. Allerdings ist er ein zu guter Freund, als dass er jemals auf die Idee käme, mich zu verhätscheln.
    »Tja«, sagte er, »wenn deine Zeit bald abgelaufen sein sollte, ist das ein Grund mehr, ein süßes Teilchen zu verzehren. Das mit Ananas und Quark wäre absolut ideal, um eine Henkersmahlzeit zu beschließen.«

11
    Als ich vorschlug, beim Abräumen und Spülen zu helfen, bevor ich ging, wies Little Ozzie – der trotz seines Namens noch gute zwanzig Kilo schwerer ist als sein Vater Big Ozzie – den Vorschlag zurück, indem er nachdrücklich mit einer Scheibe gebuttertem Toast gestikulierte.
    »Wir sitzen doch erst seit einer Dreiviertelstunde hier. Ich verbringe nie weniger als eineinhalb Stunden am Frühstückstisch. Bei Kaffee und Rosinenbrioche kommen mir oft meine besten Ideen.«
    »Sie sollten eine Serie schreiben, die in der kulinarischen Welt spielt.«
    »Ach, die Regale in den Buchhandlungen quellen doch schon über von Krimis

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