Seelenlos
geführt, bis dieser an Krebs gestorben ist. Seither macht sie ohne ihn weiter. Seit fast zehn Jahren lebt sie allein über dem Lokal, in einer Wohnung, die man über eine Außentreppe erreicht.
Als sie Kelsey verloren hat, war sie erst zweiunddreißig. Seitdem ist Elvis der Mann in ihrem Leben. Nicht sein Geist, sondern seine Geschichte und der Mythos, der ihn umrankt.
Sie besitzt jeden Song, den der King je aufgenommen hat, und sie hat sich ein enzyklopädisches Wissen über sein Leben angeeignet. Ihr Interesse an allem, was mit Elvis zu tun hat, war schon vorhanden, bevor ich ihr verraten habe, dass sein Geist unerklärlicherweise ausgerechnet in unserer völlig unbedeutenden Stadt spukt.
Vielleicht liebt Terri Elvis, um sich davor zu schützen, eine Beziehung mit einem neuen lebenden Mann einzugehen. Das liegt daran, dass sie Kelsey ihr Herz auf eine Weise geschenkt hat, die weit über die Pflichten ihres Ehegelübdes hinausgeht. In diesem Sinne liebt sie nicht nur die Musik und den Ruhm von Elvis, nicht nur die Vorstellung von ihm; sie liebt Elvis als Mann.
Bei allen Talenten, die Elvis hatte, ist die Zahl seiner Fehler, Schwächen und Mängel doch größer. Terri weiß, dass er egozentrisch war, besonders nach dem Tod seiner geliebten Mutter, dass es ihm schwerfiel, anderen Menschen zu vertrauen, dass er
in gewisser Hinsicht sein ganzes Leben lang pubertär geblieben ist. Sie weiß auch, dass er sich in seinen letzten Lebensjahren in Süchte geflüchtet hat, zu deren Folgen eine Gemeinheit und ein Verfolgungswahn gehörten, die eigentlich gegen seine Natur waren.
Dies alles ist ihr bewusst, und dennoch liebt sie ihn. Sie liebt ihn, weil er sich angestrengt hat, etwas zu erreichen, wegen der Leidenschaft, mit der er Musik gemacht hat, und wegen der Zuneigung, die er seiner Mutter entgegenbrachte.
Sie liebt ihn wegen seiner ungewöhnlichen Großzügigkeit, auch wenn er diese Großzügigkeit manchmal als Köder benutzt oder wie einen Knüppel geschwungen hat. Sie liebt ihn wegen seines Glaubens, obwohl er es so oft versäumt hat, dessen Anweisungen zu folgen.
Sie liebt ihn, weil er in seinen letzten Jahren demütig genug geblieben ist, um zu erkennen, wie wenig er seine Begabungen genutzt hat. Das sieht man an seinen Gewissensbissen und seinem Bedauern. Den Mut zu echter Reue hat er nie aufgebracht, obwohl er sich danach und nach der Wiedergeburt, die darauf gefolgt wäre, gesehnt hat.
Zu lieben ist so notwendig für Terri Stambaugh, wie es für einen Hai notwendig ist, ohne Unterlass durchs Meer zu schwimmen. Zugegeben, das ist ein unglücklicher Vergleich, aber er trifft zu. Wenn ein Hai sich nicht mehr bewegt, dann ertrinkt er; um zu überleben, muss er sich ständig in Bewegung befinden. Terri muss lieben oder sterben.
Ihre Freunde wissen, dass sie sich für sie aufopfern würde, so starke Verpflichtungen geht sie ein. Deshalb liebt sie nicht einfach eine geglättete Erinnerung an ihren Mann, sondern den, der er wirklich war, mit allen rauen und glatten Kanten. Auf ähnliche Weise liebt sie das Potenzial und die Realität jedes einzelnen ihrer Freunde.
Ich stieg die Treppe hoch und drückte auf die Klingel. Als sie die Tür öffnete, fragte sie sofort, noch während sie mich über die Schwelle zog: »Was kann ich tun, Oddie, was brauchst du, wo steckst du denn jetzt schon wieder drin?«
Als ich sechzehn war und um jeden Preis dem psychotischen Reich entfliehen wollte, aus dem das Haus meiner Mutter bestand, gab Terri mir einen Job, eine Chance und ein neues Leben. Nun gibt sie mir noch immer etwas. Sie ist meine Chefin, meine beste Freundin und die Schwester, die ich nie hatte.
Nachdem wir uns umarmt hatten, setzten wir uns übereck an den Küchentisch und hielten uns auf dem rot-weiß karierten Wachstuch bei der Hand. Ihre Hände sind stark, von der Arbeit abgenutzt und schön.
Aus der Stereoanlage kam »Good Luck Charm« von Elvis. Von den Titeln anderer Sänger werden Terris Lautsprecher nie besudelt.
Als ich ihr erzählte, wohin man Danny meiner Meinung nach gebracht hatte, und dass die Intuition mir sagte, ich solle ihm alleine folgen, wurde ihr Händedruck fester. »Wieso sollte Simon ihn dort hinunterschaffen?«, überlegte sie.
»Vielleicht hat er eine der Straßensperren gesehen und ist umgekehrt. Er kann aber auch den Polizeifunk abgehört und so davon erfahren haben. Die Regenkanalisation ist ein Weg aus der Stadt, der unter den Straßensperren hindurchführt.«
»Aber zu
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