Seelenlos
stand oder diese verband wie ein System aus unzähligen, zu ebenso vielen Dimensionen verschachtelten Nautilusmuscheln. Die flüssige Geometrie ihrer Spiralen würde Wege zu neuen Wirklichkeiten eröffnen.
Dann fiel mir ein, dass es unterhalb von New York angeblich sieben Ebenen mit unterschiedlicher Infrastruktur gab. Manche waren eng und schwer instand zu halten, andere sehr großzügig bemessen.
Ich holte mich auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Dies war Pico Mundo, die Heimat der Krustenechsen. Unser größtes kulturelles Ereignis war das jährliche Kaktusfest.
An bestimmten Punkten, wo offenbar eine besondere Belastung herrschte, waren die Wände mit Bogen und Pfeilern abgestützt; gelegentlich kam sogar ein Rippengewölbe. Da diese Elemente mit runden Kanten ausgeführt waren, beeinträchtigten sie die organische Qualität des Ganzen nicht im Mindesten.
Für den Zweck, dem diese Tunnels angeblich dienten, kamen sie mir absolut überdimensioniert vor. Angesichts derart vieler Routen, die das Wasser nehmen konnte, konnte ich mir kaum vorstellen, dass es selbst nach einem Jahrhundertunwetter auch nur bis zur Mitte der größeren Gänge stieg.
Problemlos vorstellen konnte ich mir hingegen, dass es sich bei diesen Röhren nur in zweiter Linie um Kanäle und primär um einspurige Straßen handelte. Hier passten Lastwagen hindurch, sogar ganze Tieflader, die an Kreuzungen mit einem einfachen Wendemanöver die Richtung ändern konnten.
Gewöhnliche Lastwagen oder mobile Raketenabschussrampen.
Wahrscheinlich befand sich dieses Labyrinth nicht nur unterhalb von Fort Kraken und Pico Mundo. Es erstreckte sich meilenweit in südlicher und nördlicher Richtung durch das ganze Tal.
Wenn man in den ersten Stunden des endgültig letzten Kriegs ein Arsenal wertvoller Atomwaffen aus der vom Erstschlag getroffenen Zone zu Punkten schaffen wollte, an denen man es an die Oberfläche bringen und abfeuern konnte, dann waren diese unterirdischen Straßen dafür gut geeignet. Auf jeden Fall waren sie tief genug angelegt, um gegen die Wirkung heftiger Detonationen geschützt zu sein.
Das Wasser hingegen befand sich so weit unterhalb der Oberfläche, dass man es wahrscheinlich nicht in ein normales Reservoir leiten konnte. Es lief wohl in einen unterirdischen See oder eine andere geologische Formation, die mit dem Grundwasserspiegel der Gegend zusammenhing.
Wie merkwürdig, dass ich früher am Herd des Pico Mundo Grills gestanden und Cheeseburger gebraten, Eier gehackt, Frühstücksspeck gewendet und von Eheglück geträumt hatte, ohne zu wissen, dass unter mir die Straßen von Armageddon lagen
und schweigend auf Lastwagenkolonnen mit todbringender Fracht warteten.
Ich sehe zwar die Toten, die für alle anderen Menschen unsichtbar bleiben, doch die Welt trägt viele Schleier und ist voller Geheimnisse, die auch mit einem sechsten Sinn nicht wahrgenommen werden können.
In solchen Gedanken marschierte ich dahin, kam jedoch nicht so rasch vorwärts, wie ich es mir gewünscht hätte. Meine magnetischen Fähigkeiten funktionierten weniger gut als sonst, sodass ich oft unsicher eine Weile stehen blieb, wenn ich an einer Kreuzung angekommen war.
Dennoch ging ich beharrlich immer weiter nach Nordosten. Zumindest vermutete ich das. Im Untergrund ein Gespür für die Richtung beizubehalten ist nicht gerade einfach.
Nach einer Weile traf ich zum ersten Mal auf eine Wasserstandsmarkierung, einen weißen, mit schwarzen Zahlen versehenen Pfosten in der Mitte der Rinne. Er reichte fast bis an die gewölbte Decke.
Das graue Wasser floss knapp unterhalb der Sechzig-Zentimeter-Marke dahin, war also tatsächlich ungefähr so hoch, wie ich anfangs geschätzt hatte. Von größerem Interesse als der Wasserstand war jedoch die Leiche. Sie hatte sich an dem Pfosten verfangen.
Mit dem Bauch nach unten schaukelte der leblose Körper im Wasser. Da dieses trüb war und da Hose und Hemd sich in der Strömung bauschten, konnte ich vom Steg aus nicht einmal bestimmen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.
Mein Herz klopfte so laut, dass seine Schläge in mir hallten wie in einem leeren Haus.
Wenn das Danny war, dann war alles vorbei.
Ich überlegte, ob ich es wagen konnte, in den Kanal zu steigen. Rasch fließendes Wasser hätte mich leicht umreißen können,
selbst wenn es nicht besonders tief war. Die Rinne wies jedoch nur eine minimale Neigung auf, und die Wasseroberfläche kräuselte sich kaum. So, wie es aussah, floss der Strom
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