Seelenlos
Danny Jessup, aber irgendwo gibt es bei jedem einen Punkt, an dem er zusammenbricht.
Was mich innehalten ließ, waren nicht die Menschen und die anderen lebendigen Bedrohungen, die in der Ruine auf mich lauerten. Es war der Gedanke an die zögerlichen Toten, die wahrscheinlich noch in den von Ruß geschwärzten Räumen spukten.
23
Durch den Hintereingang des Hotels trat ich in einen großen Raum, der wohl als zweites Foyer gedient hatte. Erhellt wurde er nur durch das fahle Licht, das durch die Lücke in der Sperrholzbarriere drang.
Mein grauer Schatten auf dem Boden war nur von den Beinen bis zum Hals sichtbar. Der Kopf verschwand im Dunkel, als wäre sein Träger enthauptet worden.
Ich zog eine der beiden Taschenlampen hervor und ließ ihren Kegel über die Wände gleiten. Hier hatte das Feuer zwar nicht getobt, aber alles war mit Rauchflecken überzogen.
Zuerst überraschte es mich, dass noch Möbel – Sofas und Sessel – vorhanden waren. Bald wurde mir jedoch klar, wieso man sie nicht geborgen hatte. Ihr übler Zustand war nicht nur die Folge von Rauch und Verwahrlosung; beim Löschen hatte die Feuerwehr sie derart unter Wasser gesetzt, dass die Rahmen verzogen waren.
Noch fünf Jahre nach der Katastrophe roch die Luft nach Ruß, versengtem Metall, geschmolzenem Kunststoff und verschmortem Dämmmaterial. In diesen Gestank mischten sich weitere Gerüche, die weniger beißend, aber noch unangenehmer waren. Woher sie stammten, ließ man am besten ungeklärt.
Fußspuren bedeckten den Teppich aus Ruß, Asche, Staub und Sand. Dannys ungewöhnliches Schrittmuster befand sich nicht darunter.
Bei näherer Betrachtung sah ich, dass keine der Spuren frisch aussah. Ihre Kanten waren vom Luftzug geglättet worden, zudem hatte sich eine feine Schicht Staub darauf abgesetzt.
Auch die Spuren waren also vor Wochen, wenn nicht gar vor Monaten entstanden. Durch diesen Eingang hatten Danny und seine Kidnapper den Bau offenkundig nicht betreten.
Frisch waren lediglich eine oder zwei Pfotenspuren. Vielleicht hätten die am Busen der Natur lebenden Panamint vergangener Zeiten diese schon mit einem kurzen Blick interpretieren können.
Da sich unter meinen Vorfahren kein einziger Fährtensucher befand und da mir auch meine Ausbildung als Grillkoch keine einschlägigen Fertigkeiten vermittelt hatte, musste ich es meiner Fantasie überlassen, ein zu den Spuren passendes Tier zu ersinnen. Sofort kam mir das Bild eines Säbelzahntigers in den Sinn, obwohl diese Spezies schon seit über zehntausend Jahren ausgestorben ist.
Falls doch ein aus irgendwelchen Gründen unsterblicher Säbelzahntiger seine Artgenossen um viele Jahrtausende überlebt hatte, würde ich mich seiner wohl erwehren können. Schließlich hatte ich bisher auch Terrible Chester überstanden.
Links vom Foyer hatte sich ein Café mit Blick auf den Swimmingpool befunden. In diesem Bereich war teilweise die abgehängte Decke herabgestürzt. Gipskartonplatten und Holzbalken bildeten eine interessante Geometrie.
Rechts führte ein breiter Flur in eine schweigende Dunkelheit, die der Strahl meiner Taschenlampe nicht vollständig beseitigen konnte. Bronzebuchstaben an der Wand teilten mit, was dort zu finden war: TOILETTEN, KONFERENZRÄUME, BALLSAAL.
Im Ballsaal waren mehrere Menschen zu Tode gekommen, weil ein gewaltiger Kronleuchter nicht, wie vom Architekten
vorgesehen, an einem Stahlträger, sondern an einem Holzbalken aufgehängt worden war. Beim ersten Erdstoß war dieser Balken zerbrochen wie Balsaholz, der Leuchter war heruntergestürzt und hatte alle, die sich darunter befanden, zermalmt oder aufgespießt.
Zwischen ramponierten Sofas und umgestürzten Sesseln hindurch ging ich quer durch das Foyer, um es auf einer anderen Route zu verlassen, durch einen zweiten Flur, der offenbar zum Haupteingang des Hotels führte. Auch die Fährte des Säbelzahntigers verlief in dieser Richtung.
Verspätet fiel mir das Handy ein. Ich zog es aus der Hosentasche, um den Rufton aus- und den Vibrationsalarm einzuschalten. Wenn die nach Wundern gierende Frau wieder anrief und ich mich zufällig in ihrer Nähe befand, dann sollte mich das Telefon nicht verraten.
In der Zeit, in der das Kasino in Betrieb gewesen war, hatte ich es kein einziges Mal aufgesucht. Wenn ich die Wahl habe – das heißt, wenn die Toten keine Forderungen an mich stellen –, dann suche ich Ruhe statt Aufregung. Durch Spielkarten und rollende Würfel kann ich mich von dem Schicksal, das meine Gabe
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