Seelenlos
Mauerkante fest, kletterte hinauf und ließ mich in die am Boden liegenden Palmwedel fallen – nicht so flüssig, wie diese Beschreibung unterstellt, sondern mit genügend Zappeln und Ellbogenstemmen, um jenseits allen Zweifels zu beweisen, dass ich nicht vom Affen abstammen kann. Hinter den dicken Palmenstämmen ging ich in die Hocke.
Jenseits der zerzausten Bäume befand sich ein gewaltiger Swimmingpool, der in Form eines natürlichen Felsenbeckens konstruiert war. Künstliche Wasserfälle dienten als Wasserrutschen.
Von den Fällen fiel natürlich kein Wasser mehr. Der leere Pool war halb mit vom Wind hergewehtem Sand und Müll gefüllt.
Bei der Beobachtung der Umgebung konzentrierten die Kidnapper sich wahrscheinlich auf den Westen, die Richtung, aus der sie selbst gekommen waren. Auch die Zufahrtsstraße zur Autobahn hatten sie vielleicht im Blick.
Alle vier Seiten des Hotels konnten sie zu dritt hingegen nicht im Auge behalten. Außerdem bezweifelte ich, dass sie sich an drei verschiedenen Stellen postiert hatten. Das hieß, sie observierten höchstens zwei Richtungen.
Es gab demnach eine gute Chance, dass ich von den Palmen zum Gebäude kam, ohne gesehen zu werden.
Was die Bewaffnung anging, waren sie wahrscheinlich nicht nur mit der Schrotflinte ausgestattet, deren Schuss ich in der Nacht gehört hatte, aber darum machte ich mir keine Sorgen. Hätten sie mich umbringen wollen, so hätten sie mir im Haus der Jessups keinen Elektroschock verpasst, sondern mir einfach eine Pistole vor die Nase gehalten und abgedrückt.
Vielleicht freuten sie sich darauf, mich später genüsslich abzumurksen, aber vorläufig wollten sie etwas anderes von mir: Wunder. Erstaunen. Eisige Finger. Ebenso fantastische wie unmögliche Dinge.
Ich musste mich hineinschleichen, die Lage sondieren und herausbekommen, wo sie Danny gefangen hielten. Wenn ich den nicht alleine befreien konnte, musste ich Wyatt Porter anrufen, auch wenn ich ahnte, dass das in diesem Fall katastrophale Folgen haben würde.
Ich löste mich aus der Deckung der Bäume und rannte über ein Pflaster aus künstlichen Steinen, wo früher gut geölte Sonnenbader auf gepolsterten Liegestühlen gedöst und ihre Chancen auf ein Melanom gesteigert hatten.
Statt tropischer Drinks bot die offene, im polynesischen Stil gestaltete Bar am Pool beachtliche Haufen Vogelkot. Sie stammten von gefiederten Wesen, die ich zwar nicht sehen, aber hören konnte. Offenbar hockte ein ganzer Schwarm auf den Querstangen der Konstruktion aus falschem Bambus, die das dicht mit Plastikpalmwedeln gedeckte Dach trug. Als ich vorbeilief, flatterten und kreischten die Tiere, um mich abzuschrecken.
Am Hintereingang des Hotels angekommen, wurde mir bewusst, dass ich das Vorhandensein der Vögel als Warnung nehmen musste. So verkohlt, verlassen und von Wind und Sand gestriegelt, wie es war, verdiente das Resort zwar keinen Michelin-Stern mehr, war jedoch wahrscheinlich zum Heim von Wüstentieren geworden, die sich hier wohler fühlten als in ihren gewohnten Löchern im harten Boden.
Die mysteriöse Frau und ihre zwei mordlüsternen Komplizen stellten also nicht die einzige Bedrohung dar. Ich musste zudem auf der Hut vor Raubtieren sein, die kein Mobiltelefon besaßen.
Die Glasschiebetüren des Hintereingangs, die bei dem Erdbeben zu Bruch gegangen waren, hatte man durch Sperrholzplatten ersetzt, um dem Katastrophentourismus einen Riegel vorzuschieben. An die Platten waren Klarsichthüllen mit Notizen geheftet, in denen allen, die man unbefugt im Gebäude erwischte, harte rechtliche Schritte angedroht wurden.
Eine der Platten war abgeschraubt und beiseitegelegt worden. Da sie mit Sand und trockenen Pflanzenresten bedeckt war, hatte man sie sicher nicht erst in den vergangenen vierundzwanzig Stunden entfernt, sondern schon vor Wochen oder Monaten.
Nach der Zerstörung des Resorts hatten die Panamint etwa zwei Jahre lang einen Wachdienst bezahlt, der das Grundstück rund um die Uhr im Auge behielt. Als die Klagen und Gegenklagen um sich griffen und es immer wahrscheinlicher wurde, dass die Gläubiger – sehr zu ihrem Schrecken – mit der Immobilie vorliebnehmen mussten, wurden die Patrouillen zu einer Ausgabe, die keinen Sinn mehr ergab.
Der Zugang zum Hotel war frei, hinter mir frischte der Wind auf, ein Unwetter nahte. Danny war in Gefahr. Dennoch zögerte ich, die Schwelle zu überschreiten. Ich war zwar – in körperlicher wie emotionaler Hinsicht – nicht so zerbrechlich wie
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