Seelenlos
verschworen.
Ich versuchte, mir vorzustellen, was ich an ihrer Stelle getan hätte, aber die einzige vernünftige Antwort lautete: Bloß weg von hier! Da Danny befreit und ich verschwunden war, hätte Datura eigentlich sofort ihr gesamtes Bargeld abheben und mit Höchstgeschwindigkeit zur mexikanischen Grenze flüchten sollen.
Eine gewöhnliche Psychopathin wäre wohl tatsächlich abgehauen, als es ungemütlich wurde – aber nicht Kali, die Verschlingerin der Toten.
Bestimmt hatten sie mindestens ein Fahrzeug vor dem Hotel geparkt. Nachdem sie Danny gekidnappt hatten, waren sie zwar mühsam zu Fuß hergekommen, um meine magnetischen Fähigkeiten zu prüfen, aber wenn der Spaß vorbei war, hatten sie keinen Grund, wegzumarschieren statt zu fahren.
Vielleicht machte Datura sich Sorgen, Danny und ich könnten das Erdgeschoss erreichen, das Auto finden, es kurzschließen und uns aus dem Staub machen. Wenn dem so war, dann waren André oder Robert – oder auch Datura selbst – hinuntergelaufen, um das Fahrzeug fahruntauglich zu machen oder es zu bewachen.
Regen. Das unaufhörliche Rauschen von Regen.
Leise wimmernd rüttelte der Wind an der Balkontür.
Was mich alarmierte, war kein Geräusch. Die Bedrohung kündigte sich durch einen mir nun schon allzu vertrauten Geruch an, den Duft von Moschus, Pilzen und rohem Fleisch.
44
Als mir der feine, merkwürdige Geruch, der nicht gerade appetitanregend wirkte, in die Nase stieg, verzog ich das Gesicht. Dann tat die Person, die ihn verströmte, einen Schritt oder verlagerte das Gewicht, denn ich hörte das leise Knirschen eines Bröckchens Gips, das von einer Sohle zermahlen wurde.
Da die Tür zu zwei Dritteln offen stand, ergab sich ein keilförmiger Raum, in dem ich mich verbergen konnte. Wenn mein Verfolger – instinktiv wusste ich, dass es sich um einen der beiden Männer handeln musste –, die Tür weiter aufdrückte, dann würde sie an mir abprallen und mich verraten.
Ich versuchte, durch den Spalt zwischen der hinteren Türkante und dem Rahmen zu spähen, aber die Türen des Hotels waren so konstruiert, dass sich kein Blick auf den Mann ergab, der auf oder vor der Schwelle stand.
Betrachtete ich die Lage von der positiven Seite, was ich momentan dringend nötig hatte, so besaß sie einen Vorteil: Wenn ich ihn nicht sehen konnte, dann konnte er mich auch nicht sehen.
Da mir der beunruhigende Geruch bisher nur in den Treppenhäusern und bei meinem zweiten Besuch im Kasino aufgefallen war, hatte ich keine Verbindung zu André und Robert hergestellt. Nun wurde mir klar, dass er in Zimmer 1203, wo ich ebenfalls mit den beiden zusammen gewesen war, zwar vorhanden
gewesen, aber von dem schweren Duft der Kerzen überdeckt worden war.
Von den bis zur Decke reichenden Scheiben der Balkontür gerahmt, fuhr ein Blitzstrahl durch den dunklen Tag. Er sah aus wie ein umgekehrter Baum, dessen Stamm im Himmel wurzelte, während die Äste die Erde erschütterten. Ein zweiter Baum legte sich über den ersten, dann folgte ein dritter, sodass ein greller Wald entstand, der noch im Wachsen ausbrannte.
Der Mann stand so lange auf der Schwelle, dass ich allmählich ins Grübeln kam. Wusste er womöglich genau, wo ich mich befand, und spielte nur mit mir?
Mit jeder Sekunde spannten sich meine Nerven stärker an. Bald waren sie so straff, dass ich mich im Zaum halten musste, um nicht vorschnell in Aktion zu treten.
Vielleicht ging er doch einfach weg. Schließlich war das Schicksal nachweislich nicht immer in mieser Laune. Zum Beispiel bewegten sich Wirbelstürme manchmal auf eine wehrlose Küste zu, nur um im letzten Augenblick abzudrehen.
Kaum hatte mir diese hoffnungsvolle Träumerei ein wenig Auftrieb gegeben, als der Mann von der Schwelle ins Zimmer trat. Es war eine Bewegung, die ich ebenso sehr spürte wie hörte.
Durch ihren Pistolengriff eignete die Flinte sich nicht dazu, mit dem Kolben an der Schulter abgefeuert zu werden. Man hielt sie zwar nach vorne, aber an der Hüfte.
Vorläufig schirmte die Tür meinen Verfolger von mir ab. Falls er jedoch weiter ins Zimmer trat, brauchte ich meine Tarnkappe, die ich nicht dabeihatte, weil ich leider nicht Harry Potter war.
Als Chief Porter seine Pumpgun dazu verwendet hatte, mich vor dem Verlust eines Beins und der Entmannung durch ein Krokodil zu bewahren, war mir klar geworden, dass die Waffe einen üblen Rückstoß aufwies. Der Chief hatte breitbeinig und
mit leicht gebeugten Knien dagestanden, den linken Fuß ein
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