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Seelenlos

Seelenlos

Titel: Seelenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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kümmerte ich mich erst gar nicht darum, weil sie womöglich abgeschlossen waren.
    Das zweite Zimmer rechts stand offen. Ich trat hinein und verbarg mich sofort hinter der Tür.
    Offenbar befand ich mich in einer Suite. Zu beiden Seiten des Zimmers drang mattes Tageslicht durch die Verbindungstüren.
    Direkt gegenüber dem Eingang, durch den ich gerade gekommen war, führte eine zweiteilige Glasschiebetür auf den Balkon. Silberne Regenschleier trieben vorbei; der Wind ließ die Türrahmen leise in ihren Schienen klappern.
    Draußen im Flur wurde brutal die Tür des Treppenhauses aufgestoßen. Mit einem lauten Knall landete sie am Stopper.
    Ich drückte mich mit dem Rücken an die Wand und hörte mit angehaltenem Atem, wie mein Verfolger an meinem Zimmer vorbeistürmte. Im selben Augenblick fiel die Tür zur Treppe, die offenbar zurückgeprallt war, wieder zu.
    Mein Gegner – André oder Robert – marschierte auf den Hauptflur zu. Bestimmt hoffte er, mich in Zimmer 1242 zu erwischen, bevor ich die weiße Taste drückte, um Danny zu befreien – und uns stattdessen beide in die Luft sprengte.

    Ich hatte vor, zehn bis fünfzehn Sekunden zu warten, bis er mit Sicherheit im Hauptflur angelangt war. Dann war der Weg zur Treppe wieder frei.
    Da er nun an mir vorbei war, brauchte ich nicht mehr zu fürchten, dass jemand mir entgegenkam. Ich konnte die Taschenlampe anknipsen, zwei Stufen auf einmal nehmen und das Erdgeschoss erreichen, bevor er ins Treppenhaus zurückkehrte und mich hörte.
    Zwei Sekunden später hörte ich vom Hauptflur her Gebrüll. Datura kreischte einen Fluch, der selbst des Teufels Großmutter zum Erröten gebracht hätte.
    Offenbar war sie mit ihrem zweiten Adjutanten die Nordtreppe heraufgekommen. In Zimmer 1242 angelangt, hatte sie entdeckt, dass Danny Jessup weder an die Bombe gefesselt war noch an den Wänden klebte.

43
    Im Kasino hatte Datura bei ihrer Attacke auf den Geist der Cocktailkellnerin bewiesen, dass ihre seidenweiche Stimme sich so grausam verzerren konnte wie ein Henkerstrick.
    Hinter der Tür der verwüsteten Suite verborgen, hörte ich nun, wie sie mich mit erschreckender Lautstärke verfluchte. Dabei verwendete sie teilweise Ausdrücke, die eher für ein weibliches als für ein männliches Opfer gepasst hätten. Mit jeder Sekunde, die verging, sank meine Hoffnung auf die Chance, ihr zu entkommen.
    Schon möglich, dass Datura gleichzeitig von Rinderwahn und Syphilis befallen war, aber sie war mehr als eine hübsch verpackte Irre, mehr als eine mordlüsterne Pornohändlerin, deren Narzissmus alle Rekorde schlug. Sie kam mir vor wie eine Urgewalt, die nicht weniger Kraft hatte als Erde, Wasser, Wind und Feuer.
    Mit einem Mal fiel mir Kali ein, die indische Todesgöttin und dunkle Seite der Muttergottheit, die als einzige Gestalt des hinduistischen Pantheons die Zeit besiegt hat. Vier- oder zehnarmig, gewalttätig und unersättlich, verschlingt Kali alle Wesen; in Tempeln, in denen sie verehrt wird, trägt ihr Standbild eine Halskette aus Menschenschädeln und tanzt auf einer Leiche.
    Die Vorstellung, dass sich die dunkle, hagere Gestalt der wilden Göttin in der üppigen, blonden Datura verkörpert hatte, traf mich wie ein Schlag. Sie war so überzeugend, dass meine
gesamte Wahrnehmung sich dadurch vertiefte und veränderte. Jede Einzelheit des dunklen, chaotischen Hotelzimmers und des tobenden Unwetters jenseits der Balkontür wurde plastischer, und ich hatte das Gefühl, bis in die molekulare Struktur der Dinge blicken zu können und darüber hinaus.
    Gleichzeitig mit dieser neuen Klarheit, die alles in meinem Blick umfasste, ahnte ich ein Geheimnis, das mir bisher noch nie bewusst geworden war, eine entscheidende Erkenntnis, die darauf wartete, akzeptiert zu werden. Ein kaum beschreibbares Frösteln durchfuhr mich, etwas, das mich eher mit Ehrfurcht als mit Grauen erfüllte, obgleich Grauen durchaus ein Teil davon war.
    Vielleicht klingt das jetzt so, als würde ich versuchen, die gesteigerte Wahrnehmung zu beschreiben, von der man in Todesgefahr oft ergriffen wird. Allerdings bin ich oft genug in Todesgefahr gewesen, um zu wissen, wie die sich anfühlt, und das, was damals im Hotel geschah, war nicht dasselbe.
    Wie wohl bei allen mystischen Erfahrungen ging der Moment, in dem das Unsagbare klar zu werden schien, vorüber, genauso flüchtig wie ein Traum. Dennoch war ich so elektrisiert, als hätte man mich zum zweiten Mal an diesem Tag unter Strom gesetzt. Diesmal diente der

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