Seelenlos
hier doch nicht raus. Hast du gehört? Hier gibt es keinen Ausweg! «
Die Munition, die ich neben dem Waschbecken von Zimmer 1203 gefunden hatte, war offenbar für eine andere Waffe gedacht.
Egal, wie man es drehte und wendete, als Flinte konnte man das Ding in meinen Händen nicht mehr bezeichnen. Es eignete sich nur noch als Knüppel.
Nun war ich endgültig in einen Sackbahnhof geraten, und weit und breit gab’s keinen Schalter für die Rückfahrkarte.
47
Früher habe ich mir manchmal überlegt, ob ich mich nicht eines Tages im Autoreifenhandel betätigen sollte. Nur so zum Spaß habe ich ab und zu ein wenig Zeit im Reifencenter draußen an der Green Moon Road verbracht, und alle, die dort arbeiteten, sahen entspannt und glücklich aus.
Im Reifenhandel braucht man sich am Ende eines Arbeitstages nicht zu fragen, ob man etwas Sinnvolles geleistet hat. Schließlich hat man sich um Leute mit abgefahrenem Profil gekümmert und sie mit schicken neuen Reifen wieder weggeschickt.
Bei uns in Amerika genießt man es, mobil zu sein, und fühlt sich deprimiert, wenn man es nicht ist. Reifen an den Mann zu bringen ist daher nicht nur ein gutes Geschäft, sondern auch Balsam für betrübte Seelen.
Trotzdem hat dieser Job auch einen Haken, nämlich den Verkaufsvorgang. Obwohl es im Reifencenter normalerweise nicht zu hartem Feilschen kommt wie etwa im Immobiliengeschäft und im internationalen Waffenhandel, würde die Sache mich wahrscheinlich zu sehr mitnehmen. Klar, wenn der paranormale Teil meines Lebens nur aus dem täglichen Kontakt mit Elvis bestünde, könnte ich noch ein wenig zusätzliche Aufregung gebrauchen, aber wie ihr gesehen habt, ist das bei Weitem noch nicht alles.
Deshalb war ich inzwischen zu dem Entschluss gekommen, irgendwann doch wieder für Terri Stambaugh zu arbeiten. Nur wenn sich herausstellte, dass meine Nerven auch durch das vertraute Brutzeln und Schmoren zu sehr strapaziert wurden, wollte ich es im Reifencenter versuchen, aber nicht im Verkauf, sondern als Monteur.
Jener Gewittertag in der Wüste stellte diese ganzen Planspiele gründlich infrage. Natürlich musste man Ziele und Träume haben und danach streben, sie zu verwirklichen, daran änderte sich nichts. Mir wurde aber deutlich klar, dass es nicht in unserer Macht stand, jeden Aspekt unserer Zukunft zu bestimmen. Was die Welt uns beibringen konnte, war Demut, sofern wir bereit waren zu lernen.
Während ich da in einem der schimmligen Zimmer des verwüsteten Hotels stand, eine nutzlose Schrotflinte betrachtete und hörte, wie eine mordlüsterne Irre mir versicherte, mein Schicksal läge in ihren Händen, fühlte ich mich durchaus demütig. Es ging mir zwar nicht ganz so übel wie Wile E. Coyote, wenn er unter genau dem Felsbrocken gelandet war, mit dem er den Road Runner zerquetschen wollte, aber es reichte aus.
»Weißt du auch, weshalb es keinen Ausweg gibt, Süßer?«, tönte es draußen.
Ich gab keine Antwort, weil sie es mir sicher gleich mitteilen würde.
»Weil ich dich kenne. Ich weiß alles über dich. Zum Beispiel weiß ich, dass es auf zwei Arten funktioniert.«
Diese Aussage blieb mir vorläufig schleierhaft. Da das jedoch auf vieles zutraf, was Datura von sich gab, verwendete ich keine große Mühe darauf, sie zu interpretieren.
Ich fragte mich gerade, wann sie wohl endlich aufhörte zu zetern und nach mir suchte, als mir ein erschreckender Gedanke kam. Womöglich hatte sich André bereits in die Suite geschlichen,
und ihr Gebrüll im Korridor diente nur dazu, mich in Sicherheit zu wiegen.
Als hätte Datura meine Gedanken gelesen, sagte sie: »Ich muss doch nicht etwa nach dir suchen, oder, Odd Thomas?«
Erschöpft legte ich die Flinte auf den Boden, um mir mit den Händen das Gesicht abzuwischen. Dann trocknete ich die Hände an der Hose ab. Ich fühlte mich so schmutzig, als hätte ich eine ganze Woche nicht geduscht.
Bisher hatte ich immer erwartet, sauber zu sterben. Wenn ich im Traum jene weiße Kassettentür öffnete und einen Spieß durch die Kehle bekam, trug ich ein sauberes T-Shirt, gebügelte Jeans und frische Unterwäsche.
»Glaub bloß nicht, dass ich mir den Schädel wegblasen lasse, indem ich nach dir suche!«, brüllte Datura.
Angesichts des ganzen Schlamassels, in den ich ständig geriet, wusste ich nicht mehr recht, wieso ich immer gemeint hatte, sauber zu sterben. Die Vorstellung kam mir jetzt sogar ziemlich illusorisch vor.
Freud wäre bestimmt begeistert gewesen, meinen
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