Seelenlos
Sauberkeitsfimmel im Angesicht des Todes zu analysieren. Viel wäre dabei jedoch wohl nicht herausgekommen.
»Dein Magnetismus!«, rief Datura, was mich aufhorchen ließ, nachdem ich ihr eine Weile kaum mehr richtig zugehört hatte. »Dein Magnetismus funktioniert auf zwei Arten, mein Süßer!«
Meine Stimmung war ohnehin nicht besonders gut gewesen. Bei diesen Worten sank sie noch mehr.
Was Datura meinte, war ganz einfach dies: Wenn ich ein bestimmtes Ziel im Sinn habe, kann ich bekanntlich aufs Geratewohl durch die Gegend gehen oder fahren, und meine magnetischen Fähigkeiten führen mich oft dorthin, wo ich hinwill. Gelegentlich wirkt dieser Mechanismus jedoch auch andersherum.
Das heißt, wenn ich intensiv an eine andere Person denke, ohne sie aktiv zu suchen, wird sie unwillkürlich zu mir hingezogen, ohne etwas dafür tun zu müssen.
In den Momenten, in denen dieser Magnetismus umgekehrt und ohne meine bewusste Absicht wirkt, habe ich ihn nicht unter Kontrolle – und muss mich auf unangenehme Überraschungen gefasst machen. Von allen Dingen, die Danny über mich verraten haben konnte, brachte mich die Information über diese Achillesferse in die größte Gefahr.
Bisher hatte diese Gefahr so nicht bestanden. War einer meiner Gegner durch die umgekehrte Wirkung meines Magnetismus ungewollt in meine Nähe geraten, so war er davon genauso überrascht gewesen wie ich selbst. Dadurch hatte er zumindest keinen Vorteil gegenüber mir gehabt.
Nun jedoch wollte Datura sich diese Situation offenbar zunutze machen. Statt nacheinander hektisch alle Zimmer und, falls nötig, weitere Stockwerke zu durchsuchen, wollte sie sich einfach ruhig verhalten und sich bewusst empfänglich dafür machen, dass meine Aura – oder wie immer man meine paranormale Anziehungskraft nennen mag – sie erfasste. Gemeinsam mit André konnte sie die beiden Treppen im Blick behalten, ab und zu überprüfen, ob aus dem Aufzugschacht Geräusche drangen, und abwarten, bis sie neben mir oder hinter meinem Rücken stand.
Egal, wie geschickt ich mich auch anstellte, einen Weg aus dem Hotel zu finden, ich würde wahrscheinlich auf Datura treffen, bevor ich in die Freiheit gelangen konnte. Das war fast schicksalhaft.
Falls ihr gerade ein Bier zu viel getrunken haben solltet und in streitlustiger Laune seid, meint ihr vielleicht: Sei kein Trottel, Odd! Du brauchst doch bloß einfach nicht an dieses Weibsstück denken.
Okay. Stellt euch mal vor, ihr lauft an einem Sommertag barfuß herum, sorglos wie ein Kind, und tretet dabei unabsichtlich auf ein Brett. In diesem Brett steckt ein zehn Zentimeter langer Nagel, der sich durch euren Mittelfuß bohrt und auf der anderen Seite wieder herauskommt. Kein Grund, sich Sorgen zu machen und zum Arzt zu gehen; ihr braucht einfach nur nicht daran denken, dass ein fetter, spitzer, rostiger Nagel in eurem Fuß steckt.
Oder ihr steht auf dem Golfplatz, und euer Ball fliegt beim Abschlag ins Unterholz. Als ihr ihn herausholt, beißt euch eine Klapperschlange in die Hand. Nicht nötig, das Handy herauszuholen und den Rettungsdienst zu rufen; ihr könnt die Runde ungerührt zu Ende bringen, wenn ihr euch nur auf euer Spiel konzentriert und die lästige Schlange einfach vergesst.
Egal, wie viele Flaschen Bier ihr konsumiert habt, ihr dürftet mich verstanden haben. Datura war wie ein rostiger Nagel durch meinen Fuß, wie eine Schlange, deren Giftzähne sich in meine Hand gebohrt hatten. Unter solchen Umständen zu versuchen, nicht an sie zu denken, war genauso unmöglich, wie nicht an Rumpelstilzchen zu denken, wenn es einem vor der Nase herumtanzte.
Zumindest hatte Datura ihre Absichten verraten. Nun wusste ich , dass sie von der umgekehrten Wirkung meines Magnetismus wusste. Womöglich stand sie plötzlich vor mir, wenn ich es am wenigsten erwartete, aber ich würde nicht völlig perplex sein, wenn sie mich enthauptete und mein Blut trank.
Sie hatte aufgehört zu brüllen.
Verunsichert von der Stille, spannte ich die Muskeln an.
Nicht an Datura zu denken, war während ihres Gezeters leichter gewesen als nun, da sie die Klappe hielt.
Der Regen prasselte ans Fenster. Ich hörte einen Donnerschlag und dann das Klagelied des Windes.
Dieser Ausdruck hätte Ozzie Boone, meinem belesenen Mentor, bestimmt gefallen. Romantisch, so ein Klagelied.
Während ich in einem ausgebrannten Hotel Haschmich mit einer Irren spielte, saß Ozzie wahrscheinlich in seinem gemütlichen Arbeitszimmer, trank süßen, heißen
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