Seelenmoerder
den Columbia Square. Sie erkannte Tracy Sommers sofort. Die Frau saß wartend auf einer Parkbank und schaute mit starrem Blick auf den Brunnen. Als sie den Gesprächstermin vereinbart hatten, hatte Tracy Sommers auf einem Treffpunkt im Freien bestanden und auf Abbies Bitte um einen Vorschlag diesen Platz genannt. Den Schildern an den Statuen hatte sie entnommen, dass die Gegend historisch bedeutsam war, doch welche Bedeutung hatte sie wohl für Tracy Sommers? Es war noch schwüler als zuletzt, und obwohl die Bank, die die Frau gewählt hatte, im Schatten stand, wurde Abbies Hemd bereits feucht.
»Mrs. Sommers?« Abbie lächelte freundlich, als die Frau bei ihren Worten zusammenzuckte. »Ich heiße Abbie Phillips und arbeite mit dem SCMPD an Ihrem Fall.«
Sobald Abbie Platz genommen hatte, begann die andere Frau zu sprechen. »Wie ich am Telefon schon gesagt habe – mir ist nichts Neues eingefallen. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen kann.«
»Es tut mir leid, dass ich Sie noch mal an die ganze Tortur erinnern muss«, sagte Abbie aufrichtig. »Aber ich möchte Ihnen ein paar Bilder zeigen. Fühlen Sie sich imstande, sie sich anzusehen?«
Tracy Sommers zuckte merklich zurück. »Sie meinen … Sie haben ihn gefunden?«
»Wir haben eine Spur.« Trotz ihrer eigenen Vorbehalte gegen Juárez als Hauptverdächtigem hatte sie eingewilligt, den Opfern im Rahmen einer Auswahl sein Foto zu zeigen. Da keine von ihnen das Gesicht des Täters gesehen hatte, war es ein Stochern im Nebel, aber versuchen mussten sie es trotzdem.
Tracy befeuchtete ihre Lippen und ballte die Fäuste im Schoß ihres Jeansrocks. »Ich weiß nicht, ob es Ihnen weiterhilft, aber ich versuch’s.«
Abbie klappte ihre Mappe auf und reichte sie der Frau. Jedes Farbfoto zeigte die Ganzkörperaufnahme eines Mannes, wobei Juárez der zweite in der Reihe war.
Die Mappe bebte in Tracys zitternden Händen. »Ich weiß nicht … ich habe den Detectives schon gesagt, dass ich ihn nicht gesehen habe.«
»Ich weiß. Aber vielleicht ist zwischendurch die Maske oder ein Handschuh verrutscht, und Sie haben ein Stück Haut gesehen.« Tracy schüttelte den Kopf, noch ehe Abbie den Satz zu Ende gesprochen hatte. »Auf jeden Fall sind diese Männer unterschiedlich groß und unterschiedlich gebaut, und sie gehören verschiedenen Rassen an. Lassen Sie sich Zeit«, mahnte sie. »Studieren Sie sie. Es geht hier nicht um eine eindeutige Identifizierung. Aber falls Ihnen an irgendeinem dieser Männer etwas auffällt, und sei es nur durch einen Vergleich …«
Tracy zuckte hilflos die Achseln und sah zu Abbie auf. »Er hat mich von hinten gepackt. Und nachdem er mir die Spritze in den Arm gerammt hatte, hab ich ihn eigentlich kaum noch wahrgenommen, wissen Sie? Nur noch das, was er mit mir gemacht hat.«
Ihre Worte ähnelten in gespenstischer Weise dem, was Barbara Billings und Amanda Richards ausgesagt hatten. »Und wie geht es Ihnen inzwischen, Tracy?«, fragte Abbie mit sanfter Stimme.
»Ach, na ja …« Die hübsche Brünette rang um ein Lächeln, das ihr jedoch nicht recht gelingen wollte. »Ich war seither nicht wieder arbeiten, weil ich es nicht schaffe, einen Aufzug zu benutzen oder ein Treppenhaus zu betreten.«
Dieser Frau, so erinnerte sich Abbie, hatte der Täter eine
Plastiktüte über den Kopf gestülpt und sie mehrmals erstickt und wiederbelebt. »Waren Sie bei einem Therapeuten? Das könnte auch gegen die Klaustrophobie helfen.«
»Ich gehe in eine Gruppe. Aber es nutzt nicht viel.« Die Frau wandte mit bitterer Miene den Blick ab. »Ich versuche mich so oft wie möglich im Freien aufzuhalten, wo die Wände nicht auf mich zukommen können. Mein Mann … er war bisher unheimlich verständnisvoll, aber langsam komme ich ins Grübeln … Er ist Extremsport-Fan. Wildwasser-Rafting, Paragliding, Klettern und so weiter. Wie lange wird er sich noch für eine Frau interessieren, die durchdreht, wenn eine Restauranttoilette zu eng ist?«
»Eine Paarberatung könnte da helfen.« Abbie wusste besser als die meisten, dass manche Ängste ein Leben lang anhielten. Doch das hieß nicht, dass man nicht mit ihnen umzugehen lernen konnte.
Tracy schien gar nicht zuzuhören, sondern fixierte ein paar Tauben, die im Brunnen planschten. »Ich hatte schon immer ein Problem mit geschlossenen Räumen, wissen Sie? Todd – mein Mann – hat mich oft deswegen geneckt, weil ich in Aufzügen zu zittern und zu schwitzen angefangen habe, aber ich konnte sie immer noch
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