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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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die Säge gemacht hat, spukt’s hier wirklich.«
    Er hatte vollkommen recht. In der Nacht zum Sonntag hatte ich den Geist eines Mannes gesehen, der in die Säge gesprungen war. Dann war er wieder erschienen, und es hatte sich alles wiederholt. Ob das eine Art Buße war? Tante Lauren hatte üble Dinge getan, vielleicht sogar an einem Mord mitgewirkt. Wenn sie tot war, würde sie dann in die Hölle kommen? War sie …?
    Ich schluckte krampfhaft.
    »Was jetzt?«, flüsterte Tori.
    Ich sah mich um. Der Raum hatte die Größe eines Klassenzimmers und stand voller Kisten.
    »Such dir ein Versteck weiter hinten«, sagte ich. »Es ist ziemlich staubig, sie scheinen also nicht oft hier reinzukommen. Wir verstecken uns …«
    Liz kam durch die Tür gerannt.
    »Sie kommen!«
    »Was!?«
    »Dr. Davidoff und Sue. Sie hat euch an der Tür gesehen.«
    Na, da hatte Tori ja auf wirklich brillante Weise Schmiere gestanden …
    »Sind sie schon drin?«, fragte ich.
    »Noch nicht.«
    »Ist wer schon drin?«, fragte Tori, während Liz wieder verschwand. »Was ist los? Was hat sie gesagt?«
    Ich erzählte es ihr und öffnete dann die Tür einen Spaltbreit.
    »Was machst du da?«, fragte sie, während sie an meinem Ärmel zog. »Bist du verrückt? Mach die zu!«
    Sagte man ihr, sie sollte still sein, dann wurde sie lauter. Sagte man ihr, sie sollte hinten bleiben, dann stieß sie mich hinaus ins Freie. Sagte man ihr, sie sollte nach Verfolgern Ausschau halten, dann zappelte sie stattdessen in meinem Rücken herum. Öffnete man die Tür, um zu horchen, dann wollte sie mich wieder ins Innere zerren.
    Aha. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft also.
    Freundschaft? Wir würden von Glück sagen können, wenn es zu einer vorübergehenden Partnerschaft reichte.
    Ich erklärte ihr, dass ich zu lauschen versuchte. Als sie zu widersprechen begann, starrte ich sie wütend an, und einmal schien es doch tatsächlich etwas zu nützen. Sie machte den Mund zu und zog sich in den Lagerraum zurück, mürrisch und beleidigt, aber immerhin wortlos.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, hallte die Stimme des Wachmanns den Gang entlang.
    »Ja, wir suchen nach zwei Mädchen im Teenageralter«, antwortete Dr. Davidoff. »Wir glauben, dass sie hier reingelaufen sind. Es sind Ausreißerinnen aus einer Wohngruppe, fünfzehn Jahre alt. Eine ist etwa eins siebenundsechzig, kurze dunkle Haare. Die andere gut eins fünfzig mit rotblondem Haar.«
    »Und roten Strähnen«, fügte Sue hinzu. »Gefärbten roten Strähnen.«
    Der Wachmann lachte leise. »Hört sich an wie meine, bloß dass ihre blau sind. Letzte Woche waren sie lila.«
    »Teenager«, sagte Dr. Davidoff mit einem bemühten Auflachen. »Die beiden entwischen uns dauernd. Sie wissen, wie Mädchen sind – verschwinden, weil sie sich mit ihren Freunden treffen oder Lipgloss kaufen müssen. Sie meinen es nicht böse, aber wir machen uns Sorgen.«
    »Schon klar. Wenn ich sie sehe, sage ich Ihnen Bescheid – haben Sie eine Karte?«
    »Wir sind uns ziemlich sicher, dass sie hier drin sind.«
    »Nee. Das da ist die einzige Tür, die man von außen aufmachen kann, und ich hab die ganze Schicht über hier gesessen.«
    »Ich verstehe. Aber vielleicht könnten wir uns schnell umsehen …«
    Ein Stuhl knarrte, und ich stellte mir vor, wie ein wuchtiger Mann aufstand. »Leute, das hier ist eine Fabrik. Haben Sie eine Ahnung, wie viele Sicherheitsvorschriften ich verletzen würde, wenn ich Sie hier rumlaufen ließe?«
    »Wir sind bereit, Schutzhelme und Schutzbrillen zu tragen.«
    »Das hier ist kein öffentliches Gebäude. Sie können nicht ohne einen Besichtigungstermin und ohne Begleitung eines Firmenangehörigen hier rein.«
    »Könnten wir dann mit dem Betriebsleiter sprechen?«
    »Nicht da. Besprechung. Geht den ganzen Tag. Aber ich hab Ihnen doch gesagt, an mir ist keiner vorbeigekommen. Ihre Mädchen sind nicht hier drin. Wenn Sie wirklich selbst nachsehen wollen, kein Problem – kommen Sie mit der Polizei wieder, und ich lasse Sie rein.«
    »Wir würden es vorziehen, die Polizei gerade nicht einzuschalten.«
    »Na ja, das werden Sie aber müssen, denn das ist die einzige Möglichkeit, wie Sie an mir vorbeikommen.«
     
    Nachdem der Wachmann sie losgeworden war, bereiteten wir uns darauf vor, in dem Lagerraum zu warten, bis es draußen dunkel war. Wir suchten uns jeweils ein Versteck aus, weit genug voneinander entfernt, dass wir uns nicht unterhalten mussten. Zunächst war mir das sehr recht so – als ob Tori

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