Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
allein rausgekriegt! Sie haben uns gestern darüber informiert, dass unser Sohn mit Drogen voll gepumpt bis unter den Scheitel hier eingeliefert worden ist«, schnaubte die Mutter.
»Auf Wiedersehen.«
Damit drehten die beiden sich um und ließen Nachtigall auf dem Flur stehen.
»Schwester«, er entzifferte ihr Namensschild, »Schwester Heidi, wie geht es dem Jungen denn?«
»Das darf ich Ihnen nicht sagen. Sie haben ihn gesehen. Genau so geht’s ihm auch.«
»Aha. Schwach und blass und große Pupillen.Aber immerhin normale Kinderstation.«
»Ja. Genau.«
Peter Nachtigall beschloss im Café am Haupteingang einen Kaffee zu trinken und später noch einmal bei Groovi vorbeizuschauen. Er musste ihn noch ein paar Dinge fragen und das würde er besser hier im Krankenhaus erledigen, als bei ihm zu Hause unter den Blicken der Eltern.
Er ging in den Park hinaus, um mit Jule zu telefonieren. Sie würde erst am nächsten Morgen nach Hause kommen, sie sei mit Emile verabredet, informierte sie ihn. »Nur keine Sorge Papa. Er passt schon auf mich auf«, hatte sie gelacht und aufgelegt.
Er kehrte eine Stunde später zu dem Jungen zurück.
Groovi lag unbeweglich auf dem Rücken und stierte blicklos an die Decke.
»Na, was ist los? Du musst schon morgen den Koffer packen und nach Haus gehen? Schluss mit dem Wohlfühl - Service der netten Schwester?«
»Ach was. Ich soll beim Kinder- und Jugendnotdienst unterkriechen, bis ein Platz im betreuten Wohnen frei wird! Die haben gesagt, einen Drogenabhängigen nehmen sie nicht wieder bei sich auf! Einen Drogenabhängigen! Ich bin gar nicht drogenabhängig. Mann, ich konnte doch nicht wissen, dass die paar Samen so eine Wirkung haben würden!«
»Du glaubst, sie lieben dich nicht mehr. Aber vielleicht sind sie mit der Situation einfach nur überfordert und brauchen ein bisschen Zeit.«
»Nein, das ist eine Frage des Prinzips. Mein Vater duldet keine schwachen Charaktere im Haus. Wenn ich einen Nachweis bringe, dass ich keine Drogen konsumiere und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht wieder in Versuchung gerate, können wir über eine Rückkehr nachdenken.«
»Hat er das so gesagt?«
»Ja.«
Liebten denn Eltern heutzutage ihre Kinder nicht mehr? War so etwas üblich? Marlin war noch ein Kind und auch seine Eltern legten keinen Wert auf seine Rückkehr. Plötzlich spürte er, wie sich eine frostige Kälte in ihm ausbreitete – das durfte doch nicht wahr sein, so konnte man doch nicht mit dem eigenen Kind umgehen!
»Ich lass mich doch nicht zu irgendwelchen Psychotanten oder -onkels abschieben. Lieber verrecke ich im Park! Bald ist Herbst und ab November friert’s. Mich werden sie auch nicht vermissen, wenn ich dann einfach tot bin. Keiner!«
Nachtigall angelte sich den Besucherstuhl und nahm wieder Groovis eiskalte Hand in die seine.
»Die regen sich doch sicher wieder ab. Wie lange warst du denn schon von zu Hause weg?«
»Ich weiß nicht genau. Ein paar Wochen – zwei Monate? Marlin weiß das wahrscheinlich. Der hat ein unglaubliches Gedächtnis für Zahlen. Der weiß die Telefonnummern aller seiner Familienmitglieder auswendig und ihre Geburtstage. Einfach irre!«, begeisterte sich Groovi.
Und wahrscheinlich ruft er nie einen an, obwohl er sich die Nummern so gut gemerkt hat, damit er seine Familie nie vergisst.
»Ich habe da so eine Idee«, begann er vorsichtig.
»Und, die wäre?«, fragte Groovi misstrauisch.
Bei ihm zuhause war jetzt ohnehin niemand und er war keinem darüber Rechenschaft schuldig, wo und wie er seinen Samstagabend verbrachte. Ihn würde heute auch keiner vermissen, wenn man mal von Casanova absah.
»Wie wäre es, wenn ich dir aus deinem Buch vorlese, wo du doch gerade selbst nicht dazu in der Lege bist? Erzähl mir kurz, was bisher passiert ist und wo ich weiterlesen soll. Einverstanden?«
Groovi sah in verblüfft an.
»Aber das ist ein Kinderbuch! Wird das nicht langweilig für dich?«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Männer lieben ihr ganzes Leben lang Geschichten über Drachen«, versicherte Nachtigall und las in den folgenden Stunden mehrere Kapitel über den unerschrockenen Eragon vor, der einen Drachen findet oder besser von einem Drachen adoptiert wird, und seine Heimat verlassen muss, um gegen das Böse zu kämpfen. Er war selbst ganz fasziniert von dem Buch, in dem es von Zauberern, Elfen, bösen Schatten und anderen Schrecklichkeiten nur so wimmelte. Viel Magie war nötig, um in diesem geheimnisvollen Reich
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