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Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)

Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)

Titel: Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Steinhauer
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Platz aus konnte er das geschäftige Treiben draußen beobachten. Um diese Jahreszeit war die Stadt gut besucht, Touristen von überallher schlenderten in Gruppen durch die Gassen der Altstadt oder saßen auf dem Marktplatz an den Tischen eines der Cafés und genossen die Sonne. Er entdeckte eine Gruppe japanischer Besucher, die sich gegenseitig vor den liebevoll restaurierten Fassaden der alten Stadthäuser fotografierten. Eine andere Gruppe hatte den Brunnen als Hintergrund gewählt. So würde man vielleicht selbst bei einer Teegesellschaft im fernen Tokio über Cottbus sprechen. Er lächelte vor sich hin – und das, wo er doch jedem in Baden-Württemberg hatte erklären müssen, wohin genau er ziehen wollte. Gegenüber vor dem Apothekenmuseum hatte sich eine große Traube um eine junge Dame gebildet, die einen Schirm in die Höhe streckte, damit ihre Gruppe sie leichter finden konnte. Offenbar gestikulierte sie, während sie ihre Erklärungen abgab, denn die Spitze des Schirms tanzte nervös auf und ab. Belustigt sah er ihr eine Weile zu und freute sich plötzlich darüber, dass es so viele Menschen aus aller Welt gab, die sich für diese Stadt im Spreewald interessierten.
    Der junge Mann war pünktlich und ohne seine Arbeitskleidung sah er so stark verändert aus, dass Michael Wiener ihn beinahe nicht wiedererkannt hätte. Sie bestellten sich bei einer fröhlichen jungen Dame am Tresen jeder einen großen Milchkaffee und nahmen in einer verborgenen Ecke in tiefen, dunkelbraunen Ledersesseln Platz.
    »Du hast mir gestern nur gesagt, dass Friederike ermordet wurde. In der Zeitung steht aber, sie ist verblutet!«, begann Jacob Hensel das Gespräch mit einem deutlichen Vorwurf.
    »Macht das für Sie einen Unterschied?«
    Der junge Mann legte die Stirn in dicke Falten und nahm sich viel Zeit zum Überlegen.
    »Doch. In der Zeitung steht, der Täter hätte sie verbluten lassen! Mit Absicht! Weißt du, wie lange so was dauern kann? Und die ganze Zeit über hoffst du, dass dich noch einer findet, man dich rettet, und am Ende musst du dann doch einsehen, dass es keine Hoffnung mehr gibt und du sterben musst. Das ist was anderes, als wenn einer in deine Wohnung einbricht und dich mit einer schweren Lampe erschlägt, wenn du verstehst, was ich meine?«
    Michael Wiener nickte langsam.
    »Weißt du, Friederike war ein seltsamer Mensch. Manchmal war sie total gut drauf, da hat sie jeden Spaß verstanden und war für alles zu haben – und dann gab es Tage, da kam sie schon mürrisch zur Arbeit und war den ganzen Tag über unausstehlich. Ich hab sie an so einem Tag mal im Spaß gefragt, wie man morgens um sieben schon so mies drauf sein kann, da hat sie mir so eine ins Gesicht gegeben, dass der linke Schneidezahn wackelte. Aber so was hat ihr dann hinterher immer leid getan und sie hat sich entschuldigt.« Er rührte mit einem langen Löffel vorsichtig seinen Kaffee um und gab noch ein bisschen Zucker in die Tasse.
    »Wir wissen schon, dass Friederike Probleme hatte, aber Sie wissen sicher mehr darüber.«
    »Mag sein. Ich glaube jedenfalls, es war keine gute Idee von ihr in dieses Haus in der Nähe des Busbahnhofs zu ziehen. Die Wohngegend da – der Ärger war doch schon vorprogrammiert. Und wenn du nach Hause kommst, willst du dich entspannen – aber bei ihr ging der Tanz erst richtig los. Die anderen Mieter haben sich gegen sie verbündet und sie beim Vermieter angeschwärzt. Tja, nun stand eben alle Nase lang so ein Typ vor der Tür und fragte nach ihrem Müll, nach der regelmäßigen Treppenhausreinigung, zwang sie ihre Anlage auf eine andere Lautstärke einzustellen, wollte den Briefkasten sehen und den Kellerraum, der zu ihrer Wohnung gehörte. Dabei fand er natürlich immer jede Menge leerer Flaschen. Er hat bei jedem Besuch ein Protokoll angefertigt, das sie unterschreiben musste und sie gewarnt, wenn sie weiter den Hausfrieden störe, würde ihr gekündigt. So eine Unverschämtheit! Sie hat ihre Miete pünktlich bezahlt!«
    »Es mag schon sein, dass sich die Mieter über sie geärgert haben, aber deswegen bringt man doch keinen um!«
    Nachdenklich tranken sie ihren Kaffee.
    »Wissen Sie, warum Friederike von zu Hause ausgezogen ist?«
    »Ja. Ihr Stiefvater hat dauernd Stress gemacht. Sie sollte sich eine Lehrstelle suchen, sie sollte das Geld besser zusammenhalten, sie sollte sich nicht mehr mit ihren Freunden treffen, sie sollte ihrer Mutter mehr im Haushalt helfen – eine endlose Litanei. Irgendwann hatte sie

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