Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
eine Packung Tempotaschentücher.
Maria Gutmann und Samuel Engel hatten nebeneinander hinter Frau Weinreich und ihrer Familie einen Platz gefunden.
Die restlichen Hausbewohner waren nicht erschienen.
Selbst der Meister der Autowerkstatt sowie Jacob Hensel waren da. Beide trugen schwarze Jeans und dunkelgraue T-Shirts. Jacob wischte sich immer wieder über die Augen. Wenigstens einer, der wirklich trauert, dachte Peter Nachtigall. Als die Musik verstummte und das Gescharre der Füße aufhörte, senkte sich andächtiges Schweigen über die Anwesenden. Die erste Trauerrede wurde von einer Frau mittleren Alters gehalten. Sie hatte ihre Haare streng nach hinten gezurrt und schob immer wieder ihre goldglänzende Brille auf der Nase zurecht. Allem Anschein nach wohl eine ehemalige Lehrerin des Mädchens. Nachtigall sah sich um und entdeckte plötzlich in der letzten Reihe Frau Kamenz, Familie Peters und Frau Hagedorn. Etwas abseits Udo Wolf und ganz in eine dunkle Ecke gedrückt Marlin. Bestimmt hatte er in der Tasche des Parkas auch Lucifer mitgebracht.
Hoffentlich gab das keinen Ärger.
Marlin war gekommen, weil er Friederikes Freund war, das war verständlich, doch weshalb waren denn die anderen hier?
Udo Wolf, weil er sie doch geliebt hatte? Eher nicht, warum also dann?
Die kalte Frauenstimme am Pult erzählte von vielen Krisen, die ihre Schülerin aber gut überstanden hätte und kleineren Vorfällen, durch die das sympathische Kind sich aber nicht vom richtigen Weg habe abbringen lassen. Was für ein Lügengebilde! Wie so oft bei diesen Anlässen.
Frau Kamenz, Familie Peters und Frau Hagedorn? Wollten sie vielleicht zeigen, dass sie vergeben hatten? Auch deren Spiel war vorbei, es gab niemanden mehr, den sie verfolgen und erschrecken konnten – was wollten sie also hier? Ihr zeigen, dass sie ihnen nicht einmal im Tod entgehen konnte? Sich darüber freuen, endlich gewonnen zu haben?
Ärger brodelte in ihm auf.
Der Mörder saß mit in dieser Trauergesellschaft, da war er sich absolut sicher und doch konnte er noch immer nicht sagen, wer die Tat begangen hatte.
Der nächste Redner war ein Mann. Der Schulleiter. Peter Nachtigall unterdrückte einen lauten Seufzer. Ich werde in meinem Testament festlegen, wer an meiner Beerdigung teilnimmt und wer nicht. Die Leute, die zu mir kommen, sollen kommen, weil ich ihnen wirklich etwas bedeutet habe, und nicht, weil sie sich selbst wichtig machen möchten!
Siedendheiß fiel ihm die schwarze Stelle am Oberarm wieder ein. Vorsichtig tastete er danach. Sie war tatsächlich noch da, hatte sich nicht, wie er gehofft hatte, über Nacht plötzlich zurückgebildet. Wenn es nun doch Krebs war? Wie lange würde es dann noch bis zu seinem Begräbnis dauern? Vielleicht werde ich meine Enkel nie kennen lernen, schoss es ihm durch den Kopf. Diese Art Krebs war heimtückisch, wusste er nach seiner nächtlichen Recherche im Internet. Und, während ein neuer Redner, diesmal wohl ein Pfarrer, seinen Platz am Rednerpult einnahm, erinnerte er sich unverhofft an Manfred. Sie hatten gemeinsam studiert. Manfred war immer lustig und kommunikationsfreudig gewesen, er fühlte sich wohl in seiner Gegenwart. Eines Tages schnappte er einen Gesprächsfetzen auf. Manfred sprach mit einem der Professoren über die bevorstehenden Prüfungen und meinte, er sei nicht sicher, ob er das ganze Pensum schaffen könne – er habe dazwischen einen Therapieblock und wie es danach weiterginge, stünde in den Sternen. Acht Wochen später war Manfred tot. Gestorben an einem malignen Melanom, zu einer Zeit, als diese Erkrankung noch nicht in aller Munde war. Wieso hatte er das verdrängt?
Wieder fühlten seine Fingerspitzen die raue, aufgeworfene Oberfläche des Mals.
Wie viel Zeit mochte ihm noch verbleiben, bis auch für ihn Trauerreden gehalten werden mussten?
Verärgert schüttelte er diese deprimierenden Gedanken ab. Wenn die Diagnose klar war, konnte er sich über solche Dinge Gedanken machen. Jetzt war es eindeutig zu früh dazu.
Die Musik spielte wieder und die Trauergäste setzten sich langsam in Bewegung. Zuerst die Träger mit dem Sarg, dahinter Familie Weinreich, die beiden Herren Petzold und danach die anderen Trauergäste. Frau Weinreich sah ihn kurz an. Sie hatte nicht geweint. Nur ihre Augen hatten ihren Glanz verloren. Er nickte ihr kurz zu.
Der Pfarrer sprach die obligatorische Formel und der Sarg wurde langsam hinuntergelassen. Lara schluchzte, Dirk Petzold wischte sich ein paar
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