Seelenqual: Peter Nachtigalls zweiter Fall (German Edition)
Tränen von der Wange.
Frau Weinreich warf einen Strauß roter Rosen auf den Sarg und trat zur Seite.
Dann brach der Tumult los.
»Ja, tut doch ruhig weiter so scheinheilig«, kreischte Udo Wolf. »Sie war böse, durch und durch böse! Und nun liegt sie in diesem Grab hier und wird liebevoll zur letzten Ruhe gebettet! Und wo ist das Grab meiner Tochter?! Wo kann ich um sie trauern? Du Mörderin!«, er trat an den Rand des Grabes und spuckte auf den Sarg.
Allgemeines Gemurmel begleitete die Szene.
Herr Weinreich machte einen Schritt auf ihn zu, doch seine Frau hielt ihn zurück und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er ließ die Fäuste, die er schon zum Schlag erhoben hatte wieder sinken.
»Tut es Ihnen nicht leid, Mutter einer solchen Tochter gewesen zu sein?«, fauchte er Frau Weinreich an, machte dann auf dem Absatz kehrt und ging zornbebend davon.
Sprachlos starrten alle dem jungen Mann nach.
»Es tut mir leid – ich weiß, es ist nicht gerade ein guter Zeitpunkt, aber ich würde mich gerne mit Ihnen über Ihre Schwester unterhalten. Peter Nachtigall, Kriminalpolizei.«
Dirk Petzold sah Nachtigall einen Moment verwirrt an, nickte aber schließlich doch.
»Hatten Sie in letzter Zeit Kontakt zu ihr? Vielleicht hat sie bei Ihnen angerufen um sie um einen Rat zu bitten.«
»Ich glaube, das hätte sie bestimmt gar nicht erst in Erwägung gezogen. Früher war das anders. Wir haben immer zusammengehalten, uns alles erzählt – aber so war es schon lange nicht mehr. In Friederikes Augen war ich ein Versager, eine vollständige Niete. Und nachdem sie die Frau meines Vaters von der Treppe gestoßen hatte, herrschte zwischen uns Funkstille.«
»Sie glauben also auch, dass sie Ihre Stiefmutter bewusst zu Fall gebracht hat?«
»Ja, klar. Keine Frage. Sie hat doch schon die ganze Zeit ein Riesentheater veranstaltet. Das Baby käme nur, um die wahren Kinder von Papa endgültig aus der Familie zu schubsen. Es sei der erste Schritt uns loszuwerden. So ein Blödsinn!«
»Und weil Sie das nicht auch so gesehen haben wie Ihre Schwester hat sie den Kontakt abgebrochen?«
»Nein. Sie hat ihn abgebrochen, weil ich sie beschimpft habe.«
Der junge Mann hatte mittelblonde Haare wie seine Schwester, aber ansonsten nicht viel Ähnlichkeit mir ihr. Er war ungefähr einsfünfundachtzig groß, schätzte Nachtigall und noch etwas schmalbrüstig. Der dunkle Anzug unterstrich diesen Eindruck. Seine Lippen bebten. Vor Wut oder vor Trauer war schwer zu entscheiden.
Sie gingen schweigend nebeneinander her.
»Friederike hat sich in letzter Zeit vor jemandem gefürchtet. Wissen Sie darüber Bescheid?«
»Ja. Sie meinen die Sache mit den Fotos. Ich riet ihr, die Türen und Fenster geschlossen zu halten, die Wohnung immer sorgfältig abzuschließen. Was soll man sonst dazu sagen? Sie hat den Ärger angezogen wie Honig die Bienen.«
»Warum wurden sie eigentlich getrennt?«
»Wir wurden nicht getrennt. Friederike wurde immer schwieriger und so zog ich eines Tages zu meinem Vater. Natürlich hat sie getobt – aber mein Entschluss stand fest. Ich nahm mir eine Wohnung und begann eine Ausbildung. Ich besuche meinen Vater häufig und genieße die Gemütlichkeit in seinem Haus. Ich konnte Friederikes Theater ohnehin nicht verstehen – sie war 21. Die meisten wollen doch in dem Alter frei sein, ihre Familienbande abstreifen. Da macht man doch keine Schwierigkeiten mehr, wenn der Vater eine neue Familie gründet!«
»Und wie lief es mit der neuen Familie Ihrer Mutter?«
»Friederike tat einfach so, als gäbe es die nicht. Mit den Mädchen sprach sie in der Regel nur das Allernotwendigste, ansonsten hing sie nur an Mama. Tobias hatte es echt schwer. Mit dem hat sie nur gestritten.«
Er senkte den Blick.
»Es tut mir weh, dass sie tot ist. Es fühlt sich an, wie eine Amputation. Wir haben jahrelang zusammengehört wie Pech und Schwefel, und nun«, er räusperte sich. »Sie war Meisterin im Erfinden von Lügengeschichten, im Schmieden von Komplotten und im Geldausgeben! Schon als kleines Kind konnte sie die unglaublichsten Storys auftischen, wenn sie zu spät vom Spielen nach Hause kam. Ich war da nie so geschickt, leider auch nicht was das Durchschauen irgendwelcher Tricks anging.«
»Sie waren also auch eines ihrer Opfer?«
»Ja, aber das ist jetzt unwichtig. Ich bin sicher, sie wäre im Laufe der Zeit ruhiger geworden. Irgendjemand wollte wohl nicht so lange warten. Wer war übrigens der junge Wüterich von eben?«
»Udo
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