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Seelenrächer

Seelenrächer

Titel: Seelenrächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G O'Carroll
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Wolken hingen tief und bedrohlich, wie schon während des ganzen Flugs von Dublin her. Quinn saß in gebeugter Haltung auf seinem Platz, während der Pilot den Hubschrauber für einen Moment kreisen ließ. Als sie dann immer tiefer gingen, wirkte das Gras unter ihnen genauso geriffelt wie das daran angrenzende Wasser. Quinn konnte die Stellen sehen, wo die Engländer die Burgmauern durchbrochen hatten. Er sah die alte Abtei und den Friedhof, wo man die Mönche erhängt hatte.
    Während der Landung war Quinns Blick auf das fast dachlose Cottage fixiert. Es sah aus, als wäre es schon halb in einem Meer aus hohem Sumpfgras versunken. Hier hatten sie Mary gefunden. Als er nun auf das alte Gemäuer hinunterblickte, konnte er uniformierte Beamte in Gummistiefeln sehen. Leute mit Spürhunden waren ebenfalls vor Ort. Und die Spezialisten von der Spurensicherung in ihren Papieranzügen.
    Über Funk hatten sie niemanden erreichen können. Entweder das System des Hubschraubers spielte verrückt, oder es lag an atmosphärischen Störungen, jedenfalls fühlten er und Doyle sich im Moment selbst fast wie blinde Mäuse. Sie hatten keine Ahnung, worauf die Kollegen unten gestoßen waren, merkten aber an ihrer Körpersprache, dass ihrer Suche inzwischen jede Dringlichkeit fehlte.
    Es herrschte eine Atmosphäre des Scheiterns, der Resignation. Während der Hubschrauber tiefer ging, schien sich ein Hauch von Kälte um ihn zu legen.
    Doyle spürte es auch: Wie erstarrt saß der kräftige Mann auf seinem Platz. Sein Kinn war von grauen Bartstoppeln überzogen, und am Hinterkopf stand ihm das stahlgraue Haar in verklebten Strähnen vom Schädel ab.
    »Ich kann hier nicht landen«, erklärte ihnen der Pilot. »Der Boden ist viel zu nass. Wir würden in null Komma nichts im Schlamm versinken. Ich gehe so weit runter wie möglich, dann müsst ihr beide springen.«
    Mit einem Nicken öffnete Quinn die Tür. Er sah die Gesichter seiner Kollegen. Die an der kurzen Leine gehaltenen Hunde schnappten und bellten lautlos vor sich hin, während das Getöse des Hubschraubers alle anderen Geräusche übertönte. Plötzlich klang es, als fingen die Rotorblätter zu stottern an, und der Hubschrauber neigte sich ein wenig zu Seite. Der Pilot gab ihnen das Zeichen. Die beiden Männer lösten ihre Sicherheitsgurte und ließen sich hinunter ins Gras fallen.
    Quinn starrte auf die pockennarbigen Wände des halb verfallenen Cottages. Wieder sah er Mary Harringtons Leiche vor sich, übersät mit weißen Maden. Er roch den üblen Gestank, bei dem es einem regelrecht den Magen umdrehte, und er hörte das schreckliche Schmatzen, das ihr Körper von sich gab, als er – immer noch von einer Plastikfolie umhüllt – aus dem flachen Grab gehoben wurde.
    Sein Blick wanderte von einem Gesicht zum nächsten. Einige der uniformierten Beamten wandten den Kopf ab. Sein ungutes Gefühl verstärkte sich.
    Seine Kinder befanden sich nur eine halbe Fahrstunde von hier entfernt bei ihrer Großmutter in Listowel, der kleinen Stadt, in der Eva aufgewachsen war. Alle, die sie dort kannten, mochten sie. Was, wenn er ihnen nun sagen musste, dass sie tot war? Er zitterte so sehr, dass er sich ganz und gar darauf konzentrieren musste, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Martin McCafferty tauchte in der Tür der Ruine auf.
    »Was habt ihr gefunden?«, fragte ihn Quinn bereits aus einiger Entfernung.
    »Das solltest du dir lieber selbst ansehen.«
    Quinns Herz begann zu rasen. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er roch verfaultes Holz und modrigen Mörtel. Gleichzeitig roch er auch die Flussmündung. Und Kuhfladen. Es kam ihm vor, als könnte er sogar die Toten riechen. Dicht gefolgt von Doyle steuerte Quinn auf McCafferty zu, der beiseitetrat, um sie vorbeizulassen. Im Inneren des Cottages war es eisig kalt. Die Mauern schimmerten nass, an vielen Stellen fiel der Verputz in Brocken von der Wand. Im zweiten Raum waren die Bodendielen entfernt worden, genau wie beim letzten Mal.
    Aber das Loch im Boden war leer. Diesmal gab es keine Leiche. Es gab keine Kleidung, keine alte Plastikplane und auch keine Schicht aus Maden. Quinn warf einen raschen Blick zu McCafferty hinüber, dann starrte er erneut hinunter in das Loch. In der feuchten Erde, die vorher von den Dielen bedeckt gewesen war, lag eine durchsichtige Plastikhülle mit einem einzelnen Blatt Papier.
    Eins ist eins und ganz allein und wird es immer sein .

Mittwoch, 3. September, 12:05 Uhr
    In der Einsatzzentrale

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