Seelenrächer
auch immer, der Richter hat das Verfahren eingestellt, es hat also überhaupt nichts gebracht, dass ich meine Aussage revidiert habe.«
»Sie haben die Wahrheit gesagt. Das allein zählt.«
»Ja, ich habe die Wahrheit gesagt. Was wollen Sie also noch von mir?«
»Ich hätte gern, dass Sie mit seiner Freundin sprechen. Dass Sie ihr erzählen, wie das damals abgelaufen ist. Sagen Sie ihr, wie er Sie dazu gebracht hat, ihm ein Alibi zu geben. Falls er es bei ihr genauso gemacht hat, möchte ich, dass sie sich fragt, warum. Sie soll begreifen, dass das Leben einer anderen Frau auf dem Spiel steht. Mit dem Unterschied, dass wir sie dieses Mal vielleicht noch retten können.« Sie tätschelte Molly am Knie. »Glauben Sie, Sie schaffen das?«
Von Murphys Beifahrersitz aus konnte Molly sehen, wie sich das blitzende Blaulicht in den Schaufenstern der Geschäfte spiegelte. Sie hatte Maggs hier in Dublin kennengelernt, als sie noch in einem Friseursalon angestellt war, in der Nähe von St. Mary’s Cathedral. Als er in den Laden kam, fielen ihr gleich sein strähniger schwarzer Haarschopf und die dunklen Augen auf. Er war ein ruhiger Typ, konnte sich aber sehr gut ausdrücken. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er viel älter als sie. Kurz zuvor hatte sie sich von einem wesentlich jüngeren Mann getrennt, der im Kraftwerk Poolbeg gearbeitet hatte.
Irgendetwas hatte er an sich. Verglichen mit den meisten anderen Männern, mit denen sie bisher zusammen gewesen war, wirkte er sehr kultiviert. Sie sah ihn eine ganze Weile nicht mehr, doch nach sechs Wochen kam er zurück, um sich einen weiteren Haarschnitt verpassen zu lassen. Er hatte zwei Karten für das Halbfinalspiel der Gaelic-Football-Liga dabei und lud sie ein, ihn zu begleiten.
Hinterher tranken sie in seiner Wohnung eine Flasche Wein. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa und unterhielten sich. Obwohl er vorher ziemlich viel geredet hatte, wirkte er nun fast nervös.
Schließlich küsste er sie.
Dabei zitterte er: ein fünfunddreißigjähriger Mann, der zitterte, wenn er eine Frau küsste. Irgendwie nahm sie das für ihn ein. Er hatte etwas so Jungenhaftes, Vorsichtiges an sich. Eine gewisse Unsicherheit. Nach ein paar weiteren Drinks schob sie seine Hand unter ihr Shirt und drückte seine Handfläche gegen ihre Brust. Sie spürte seine Anspannung und sah, dass sich unter dem Reißverschluss seiner Hose etwas zu regen begann. Als sie ihn daraufhin herausholte, kam er sofort in ihrer Hand.
Mit knallrotem Gesicht sprang Conor auf und murmelte irgendeine panische Entschuldigung.
»Hey«, sagte sie, »entspann dich. Lass dir deswegen keine grauen Haare wachsen. Wirklich, Conor – es macht mir nichts aus. Ich bin mir sicher, das passiert vielen Männern.«
Seine Verletzlichkeit gefiel ihr, und irgendetwas an seinem Äußeren – vielleicht sein zierlicher Körperbau – weckte in ihr den Wunsch, ihn zu bemuttern. Dabei war ihr der Wunsch, jemanden zu bemuttern, eigentlich völlig fremd.
»Ich hab da was«, erklärte sie, »das wird dich entspannen. Später können wir es dann ja noch mal versuchen.« Ein paar Tage zuvor hatte sie ein bisschen Gras erstanden. Das holte sie nun heraus und rollte ihnen einen bescheidenen Joint.
»Es ist wirklich kein Problem«, beruhigte sie ihn erneut, »es macht mir gar nichts aus. Wir lassen es uns einfach ein bisschen gut gehen. Dann entspannst du dich, und wir können es noch einmal versuchen.«
Ein paar Wochen später fuhr er mit ihr zu dem Musikfestival, das in seinem Heimatort in Kerry stattfand. Er hatte in Ballybunion oberhalb der Klippen einen Wohnwagen gemietet.
Bevor sie in die Stadt gingen, saß Molly eine Weile in der Abendsonne, rauchte einen Joint und trank Wein. Bis sie schließlich aufbrachen, hatte sie eine ganze Flasche geleert und war schon ziemlich angeheitert. Conor dagegen sagte kein Wort. Allmählich ging ihr seine ruhige Art, die sie anfangs so anziehend gefunden hatte, fast ein wenig auf die Nerven.
Tatsache war, dass sie lange überlegt hatte, ob sie überhaupt mitfahren sollte: Je näher das Wochenende rückte, umso abwesender wirkte er. Als würde er mit irgendeinem Ereignis rechnen, von dem er nicht wusste, wie er es handhaben sollte.
»Demnach wird sie also da sein«, bemerkte sie, während sie in die Stadt fuhren.
Neben ihr auf dem Fahrersitz des alten Granada versteifte Conor sich merklich. Sie hatte wohl einen wunden Punkt erwischt: Es gab tatsächlich jemanden. Das war es, was ihm schon
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