Seelenriss: Thriller
Moment einmal anvertraut hatte, war die Stille der Toten für ihn unerträglich und Bach, Haydn und Chopin im Laufe der Jahre zu seinen ständigen Begleitern geworden.
Beim Betreten des sterilen Raums stach Lena der beißende Gestank von Lösungsmittel in die Nase. Dr. Böttner wollte gerade dazu übergehen, zusammen mit einem jungen Sektionsassistenten die blutigen OP -Instrumente zu desinfizieren, als er sie kommen sah. Abrupt verfinsterte sich seine Miene, was Lena nicht sonderlich wunderte. Schließlich hatte er seinen lang ersehnten Familienurlaub an der Ostsee abbrechen müssen, da Volker Drescher nach den jüngsten Ereignissen darauf bestanden hatte, ihm als dienstältestem Pathologen bei den Ermittlungen die Leitung der forensischen Medizin zu übertragen. Zudem erwachten in Lena in diesem Obduktionssaal unangenehme Erinnerungen an ihren letzten Fall, bei dem Dr. Böttner und sie ganz gewiss keine Freunde geworden waren. Lena war daran nicht ganz unschuldig gewesen, doch sie hatte keine andere Wahl gehabt. Als sie sich auf der Jagd nach dem berüchtigten »Stümmler« gegen den Willen des Pathologen Zugang zu dem Raum verschafft hatte, in dem die Gesichtsrekonstruktion ihrer ermordeten Schulfreundin vorgenommen wurde, hatte Böttner auf der Stelle den Wachschutz verständigt und den Vorfall aktenkundig gemacht. Dr. Böttner hatte sich lediglich an die Vorschriften gehalten, was Lena ihm nicht verübeln konnte.
Als sie näher traten, senkte der Gerichtsmediziner schnaubend die Schultern, wahrscheinlich enttäuscht darüber, dass ihm ihr Besuch nicht erspart geblieben war. »Sieh an, das neue Dreamteam der Mordkommission gibt sich die Ehre – wie immer pünktlich zur Mittagspause«, murrte er mit einem übellaunigen Blick auf die Uhr.
Lena schenkte ihm zur Begrüßung ein höfliches Lächeln. »Wir würden gerne einen Blick auf den Leichnam von Ann-Kathrin Weiß werfen, die Maskenbildnerin, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag …«
»Kann das nicht bis nach meiner Mittagspause warten?«, fiel Böttner ihr ins Wort. »Ich muss meine beiden Jungs in einer halben Stunde …«
»Ich fürchte, das kann es nicht«, unterbrach ihn Lena, ehe er den Satz vollenden konnte. Ihr Ton war unmissverständlich.
»Sklaventreiberin«, stieß Dr. Böttner mit einem entrüsteten Seufzer aus und bedeutete dem Sektionsassistenten, alleine weiterzumachen. Lena sah, wie Böttner ein neues Paar Untersuchungshandschuhe aus einer Schublade nahm, und folgte ihm mit Belling zu den Leichenkühlfächern.
»Ich kann nur hoffen, dass Sie noch nichts im Magen haben«, sagte er in Anspielung darauf, dass Lena bei ihrem letzten Besuch ihr Frühstück von sich gegeben hatte.
Lena Peters verzog keine Miene. Sie sah zu, wie Dr. Böttner mit einer schwungvollen Bewegung eines der unteren Fächer aufzog. Ein Frösteln überkam sie, als er die Sicht auf den entstellten Leichnam einer korpulenten Frau freigab. Im OP -Licht schimmerten die Adern der Frau durch ihre bleiche, beinahe alabasterfarbene Haut. Böttner nahm ein Skalpell vom Instrumententablett und deutete damit auf den Schädel der Toten. »Sie ist mit dem Kopf zuerst aufgekommen«, erläuterte er, obgleich einem der Anblick des Leichnams diese Schlussfolgerung geradezu aufdrängte.
Lena trat näher heran. Das Gesicht der Frau – oder das, was zwischen den gesplitterten Knochen und blutverkrusteten Hautlappen davon übrig war – sah aus, als hätte jemand mit einem Baseballschläger darauf eingedroschen.
»Das Gesicht sowie ein Großteil der Schädelknochen sind bei dem Aufprall fast gänzlich zerstört worden, wodurch die Verätzungen zunächst übersehen wurden«, fuhr der Gerichtsmediziner fort.
Einen Augenblick lang starrten Lena und Belling mit fassungslosem Schweigen auf den Leichnam. »Irgendwelche DNA -Spuren?«, ergriff Belling als Erster das Wort.
Dr. Böttner schüttelte den Kopf. »Fehlanzeige.«
»Genau wie bei Lynn Maurer«, dachte Lena, den Blick weiterhin auf den nackten Leichnam von Ann-Kathrin Weiß gesenkt. »Eine sexuelle Motivation können wir demnach ausschließen«, schlussfolgerte sie. Wenigstens das ist diesen Frauen erspart geblieben. »Es muss etwas anderes sein, das ihm Befriedigung verschafft …«
»Falls die Verstorbene vor ihrem Tod Geschlechtsverkehr hatte, wurde ein Kondom verwendet«, setzte Dr. Böttner noch hinterher und beantwortete damit jene Frage, die Lena auf den Lippen gelegen hatte.
Obwohl Dr. Böttner sehr wohl die Namen
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