Seelenriss: Thriller
fragte Belling, als Lena auf dem Weg zum Besprechungsraum abrupt auf dem Korridor stehen blieb.
Sie stützte sich mit einer Hand an der Wand ab und rieb sich die Schläfe. »Natürlich, gehen Sie ruhig schon vor, ich komme gleich nach.« Eine Lüge, denn das entsetzliche Pochen war urplötzlich wieder da, gerade so, als schlage ihr jemand einen Nagel quer durch den Kopf.
»Sind Sie sicher?«, fragte Belling besorgt. »Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
Lena unterdrückte ein gequältes Lächeln. »Nein, nein, nun gehen Sie schon! Drescher fragt sich sicher bereits, wo Sie bleiben. Ich verschwinde nur kurz zur Toilette und komme sofort nach.« Lena sah ihrem Kollegen an, dass er ihr das nicht abkaufte.
»Na schön, wie Sie wollen«, seufzte Belling und eilte auf den Besprechungsraum zu, während Lena auf die Damentoilette verschwand.
Hastig schloss sie die Tür hinter sich, ließ sich gegen die kühlen Fliesen fallen und sank in die Hocke. Sie schloss einen Moment die Augen, zog die Beine an und hielt sich den Kopf. Ihr Mund war staubtrocken. Der vertraute Schmerz pulsierte wie ein nicht enden wollender Stromstoß durch ihren Kopf und brachte sie beinahe um den Verstand. Hektisch kramte sie eine Packung Aspirin aus ihrer Handtasche. Die Packung war fast leer. Lena raffte sich auf und wankte zum Waschbecken. Sie bückte sich zum Hahn hinunter und trank einen Schluck Wasser, um die Kopfschmerztablette herunterzuspülen. Dann wischte sie sich mit dem Handrücken den nassen Mund ab. »Wenn das hier vorbei ist, gehst du verdammt noch mal zum Arzt«, ermahnte sie die Frau im Spiegel. Sie lockerte ihren etwas zu straff gebundenen Zopf und massierte sich mit kreisenden Handbewegungen den Kopf, da klopfte es an der Tür.
»Peters, sind Sie da drin?« Die Stimme gehörte Lucy. »Wir warten alle auf Sie …«
»Was denn? Spielen Sie jetzt das Kindermädchen?«, blaffte Lena, was ihr noch im selben Moment leidtat. Doch seit diese Kopfschmerzen sie plagten, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. »Ich … ich komme gleich«, schob sie in deutlich versöhnlicherem Tonfall hinterher. Sie strich sich die Bluse glatt, richtete sich energisch auf und atmete einmal kräftig durch, dann machte sie sich auf den Weg zum Besprechungsraum.
»Fest steht, die Morde geschehen sowohl bei Tag als auch bei Nacht, außerdem gibt es weder eine sexuelle Komponente noch einen geographischen Zusammenhang«, fasste Volker Drescher, der mit verschränkten Armen auf dem Pult vor seinem Auditorium saß, gerade zusammen.
Eine Entschuldigung murmelnd, betrat Lena den Raum, in dem der unablässig vor sich hin surrende Standventilator erfolglos gegen die drückende Schwüle ankämpfte. Der Dezernatsleiter folgte ihr mit den Augen, bis sie auf dem freien Stuhl neben Belling in einer der hinteren Reihen Platz genommen hatte.
»Gleiches gilt für die Herkunft, das Alter und das Aussehen der Opfer«, fuhr Drescher fort und deutete mit dem Kugelschreiber zur Pinnwand mit den Opferfotos.
»Und was ist mit der Vorgehensweise?« Die Frage hatte Ben Vogt gestellt. Er saß ganz außen in der vordersten Reihe. Seine Hand ruhte lässig auf der Stuhllehne, und unter seinen Achseln zeichneten sich dunkle Halbmonde auf seinem Poloshirt ab. »Für gewöhnlich lässt ein Täter seine Beute am Tatort zurück oder aber versteckt den Leichnam – warum in Gottes Namen stürzt dieser Kerl seine Opfer also aus dem Fenster? Es ist doch vollkommen untypisch, dass ein Serienkiller seine Taten als Selbstmord inszeniert, oder nicht?«
»Eben deshalb glaube ich nicht, dass wir es mit einem pathologischen Triebtäter zu tun haben«, meldete sich Lena zu Wort und zog die Blicke aller im Raum auf sich. »Das Profil unseres Mannes unterscheidet sich deutlich von dem anderer Serienmörder. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass er das Gesicht der Opfer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Das könnte bedeuten: Er will vermeiden, dass seine Opfer ihm während der Tat in die Augen sehen, da er Gewissensbisse hat. Oder aber andersherum: Er will ihnen nicht ins Gesicht blicken müssen, da es ihm so leichter fällt, sie als Sache zu sehen, und nicht als menschliches Wesen. Auch hierbei spielen Schuldgefühle eine entscheidende Rolle. Pathologische Triebtäter haben jedoch vollkommen andere Denkschemata. Ihnen sind derartige Gefühle ebenso fremd wie Mitleid und Reue.«
Vogt schüttelte entnervt den Kopf. »Sie haben auch auf alles eine Antwort, was?«
Lena senkte den
Weitere Kostenlose Bücher