Seelenriss: Thriller
brennender Schmerz schoss ihm bei der allerkleinsten Bewegung durch den Körper. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren und keinen blassen Schimmer, wie lange er schon hier war. Ein paar Stunden? Einen ganzen Tag? Was zum Teufel war geschehen? Und wo um alles in der Welt war er?
Es war so unerträglich stickig und heiß, dass er kaum Luft bekam. Ein süßlich-stechender Gestank, den er nicht zuordnen konnte, brannte ihm in der Nase. Als Nächstes nahm er wahr, dass er splitternackt auf einem Stuhl saß. Die Hände waren hinter dem Rücken gefesselt, die Füße an den Knöcheln an die Stuhlbeine gebunden. Grundgütiger, was geht hier vor? Nein, das kann nicht sein!
Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Doch alles um ihn herum war erschreckend real. Er wollte schreien, brachte durch den Knebel in seinem Mund jedoch kaum mehr als erstickte Laute heraus. Schweiß rann ihm übers Gesicht und brannte ihm in den Augen. Er wand sich auf dem Stuhl, um die Fesseln zu lösen, die ihm mit jedem Ruck tiefer in die Haut einschnitten. Ohne Erfolg. Sein Herz hämmerte wie verrückt, und erst als sich sein Atem wieder beruhigt hatte, brach die Erinnerung mit erschreckender Klarheit über ihn herein: Sie hatten in der Küche gesessen und Bier getrunken. Er war ins Badezimmer gegangen. Auf dem Rückweg hatte er bemerkt, dass die Tür zur Kellertreppe einen Spaltbreit offen stand.
Schon immer hatte er so ein vages Gefühl gehabt, dass in diesem Haus etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Daher hatte er sich von seiner Neugier verleiten lassen und war die Stufen zum Keller hinuntergestiegen. Doch was er in diesem Keller zu sehen oder vielmehr zu hören bekommen hatte, übertraf seine Befürchtungen bei weitem. Er war auf eine riesige Sammlung von Minikassetten gestoßen, die zu einem alten Diktiergerät gehörten. Kaum hatte er eine der Kassetten eingelegt und die Abspieltaste gedrückt, durchfuhr ihn kaltes Entsetzen. Von Panik ergriffen, war er zurück zur Treppe gestürzt, um mit seinem Handy einen Notruf abzusetzen. Doch während sein Gehirn das Erlebte noch zu verarbeiten versuchte, hatte er feststellen müssen, dass sein Handy im Keller keinen Empfang hatte. Verzweifelt hatte er sein Telefon in die Höhe gehalten und war die Stufen hinaufgestolpert, als urplötzlich sein Nachbar wie aus dem Nichts vor ihm gestanden und ihm mit düsterer Miene den Weg versperrt hatte. Das Letzte, an das sich Hübner erinnerte, war – o Gott! – das große Messer, mit dem sein Nachbar geradewegs auf ihn zugekommen war. Und dann? Was war dann geschehen? Erinnerungsfetzen flackerten vor seinem inneren Auge auf, und er spürte, wie ihm die Angst die Kehle zuschnürte.
Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, in der sich die Umrisse einer Bretterwand abzeichneten, durch deren Schlitze ein schwaches Licht von der anderen Seite hereinfiel. Hübner kniff die Augen zusammen und tastete sich mit dem Blick durch die finstere Kammer. Eine dicke Ratte huschte leise fiepend über den staubigen Boden und verschwand unter einem Regal, in dem sich Konserven, Tetrapacks und Einmachgläser aneinanderreihten. Es sah ganz so aus, als befände er sich in einer Art Vorratskammer im Keller des Hauses.
Noch während ihm das ganze Ausmaß seiner gegenwärtigen Lage bewusst wurde, ließ ihn ein leises Knarren erschauern. Er war nicht allein hier unten! Er zitterte am ganzen Körper und unternahm einen letzten Versuch, seine Fesseln mit ruckartigen Bewegungen zu lösen. Doch es war zwecklos – die Kordel lockerte sich keinen Millimeter!
Plötzlich schreckte er abermals auf, als er hörte, wie irgendwo ein Schloss aufsprang und im nächsten Moment wieder zuschnappte. Dann folgte ein kurzes Krachen, als würde eine Tür aufgestoßen. Hübner hielt den Atem an. Panisch riss er den Kopf nach links und rechts, aber da war niemand. Und dann war alles wieder still. Zu still.
Hatte dieses menschenverachtende Ungeheuer von einem Nachbarn den Keller wieder verlassen? Das würde Hübner eine Menge Zeit verschaffen. Zeit, die ihm womöglich das Leben rettete, denn mit etwas Glück könnte es ihm gelingen, sich trotz der Fesseln aus dieser Kammer zu befreien. Er dachte an Becky und an seinen kleinen Sohn und zwang sich, die Zähne zusammenzubeißen. Dann presste er die Schulterblätter gegen den Stuhlrücken und kippte mit Schwung auf dem Stuhl vor und zurück, um sich auf die Füße zu wuchten. Als es ihm endlich gelang, schleppte er sich mit dem Stuhl
Weitere Kostenlose Bücher