Seelensplitter: Thriller (German Edition)
Auch die wegen des Schusswaffengebrauchs alarmierten Kollegen von der Kriminalpolizei treffen ein, befragen sie und schicken sie nach Hause. Ihre Waffe wird in einer Plastiktüte verstaut und kommt laut Aussage des Kollegen in die kriminaltechnische Untersuchung. Routine sei das.
»Widerstand gegen die Staatsgewalt?«, fragt der Kollege in Zivil und deutet auf den beim Wagen stehenden Chinesen.
»Nein«, sagte Lina, »das kam von dem Fußballfan dahinten. Ist ausgerastet, wollte die Sache selbst in die Hand nehmen.«
Lina spürt, wie ihr ein Zittern zunächst in die Hände und dann in den ganzen Körper fährt. Gott sei Dank erst jetzt, denkt sie.
Ein Kollege versichert ihr, alles werde mit dem Dienststellenleiter besprochen, zunächst sei sie beurlaubt, bis die genauen Umstände geklärt sind. Sie müsse dazu im Präsidium weitere Angaben machen.
»Routineverfahren«, wiederholt er und sagt, alle seien fest davon überzeugt, dass sie korrekt gehandelt habe. Sie solle sich mal keine Sorgen machen und wegen des Knalls doch unbedingt den Ohrenarzt aufsuchen.
»Das wird oft unterschätzt«, sagt der Mann.
Mit einem Streifenwagen wird sie nach Hause gefahren, während Alex noch befragt wird.
Na super, denkt Lina. Jetzt habe ich schon zwei Termine im Präsidium, allmählich lohnt es sich.
Zurück in ihrer Wohnung zieht sie die Uniform aus und hängt sie in den Schrank. Bevor sie die Tür schließt, berührt sie das Revers und überlegt, wie lange es wohl dauern wird, bis sie die Jacke wieder anziehen wird. Was für ein Unsinn. Sei froh, wenn du sie überhaupt jemals wieder anziehen darfst. Und wenn ja, dann womöglich nur, um eine schöne Figur bei Baustellenabsicherungen abzugeben.
Sie setzt sich in die Küche, füllt sich ein Glas mit weißem Portwein und leert es in einem Zug. Sie schenkt sich nach, will gerade trinken, da wird sie vom Türklingeln aus ihren Gedanken gerissen.
Alex, der nach ihr sehen will, bevor er nach Hause zu seiner Frau und den Kindern fährt? Sven, der ihr als Ritter nun Schwert und Schild anbietet, um sich in seiner glänzenden Rüstung als ermittelnder Hauptkommissar wieder in ihr Leben einzufädeln?
Sie leert das Glas zur Hälfte, zieht sich einen Pullover über das T-Shirt und öffnet die Tür.
»Lina!«, sagt die Frau. »Du erinnerst dich doch noch an mich? Ich brauche deine Hilfe.«
»Astrid?«, fragt Lina, und das Glas fällt ihr aus der Hand.
Prinz Eisenherz, nimm dein Singendes Schwert und schlag ihn ab, den Kopf der Hexe. Ich weiß, du hast gerade auf den Nebelinseln zu tun. Aber wenn du zurück auf dem Weg nach Camelot bist, dann komm in meine Burg. Ich erwarte dich und mache dir das beste Essen, das du dir vorstellen kannst.
Ich habe genug versteckt. Selbst die Schokolade habe ich seit drei Wochen nicht angerührt. Einmal war ich kurz davor, und meine Hand hat sich ganz selbstständig gemacht.
Ich habe zur Strafe den Bettpfosten auf meine Hand gestellt. Ich habe geweint, aber nicht sehr laut.
In meinem Versteck habe ich drei Scheiben Toastbrot und ein paar Kekse und einen halben Schokoriegel. Ich habe sie in der Küche gefunden.
Und vielleicht bringst du Merlin den Zauberer mit. Wir werden ihn brauchen. Denn die Feinde, die meine Burg belagern, sind mächtig.
Die Hexe steht am Burggraben und winkt mir mit der Schere zu. Drei Mal hat sie meine Haare schon abgeschnitten. Sie kreischt. Und neben ihr steht der Schwarze Ritter und zeigt mit seinem Finger auf mich.
Zusammen können wir sie besiegen und glücklich sein bis in alle Ewigkeit. Natürlich nur, wenn du mich willst. Willst du mich?
Der Weiße Drache sagt, du hörst jeden Gedanken, der an dich gerichtet ist. Du musst dich nur bitte ein wenig beeilen, denn ich weiß nicht, wie lange ich das Burgtor noch verschließen kann.
5
U nd, hast du was Flüssiges im Kühlschrank?«, fragt Astrid. Lina lässt sie in die Wohnung hinein, und Astrid steigt vorsichtig über die Glasscherben.
Astrids blondes Haar ist mit Gel geglättet, was ihre Gesichtskonturen härter erscheinen lässt. Sie sieht müde und erschöpft aus. Außerdem hat sie abgenommen, seit Lina sie das letzte Mal gesehen hat. Wie immer wirkt sie leicht überheblich und tut cooler, als sie eigentlich ist.
»Geht’s da lang?«, fragt sie und macht ein paar Schritte auf das Wohnzimmer zu.
Ihr burschikoser Gang passt auch jetzt nicht zu ihrem Äußeren, ihre Wortwahl ebenso wenig. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Lina sie für eine Lesbe gehalten, weil
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