Seelensplitter: Thriller (German Edition)
zum Dienst.«
Ohne Svens Antwort abzuwarten, legt sie auf.
Irgendwie wird ihr das alles im Moment zu dicht. Sie braucht Abstand. Zumindest bei ihren Kollegen muss sie weiter funktionieren. Ihre Arbeit erledigen, Schwierigkeiten aus dem Weg gehen.
Eine Stunde später sitzt sie mit Alex im Streifenwagen und fährt stadteinwärts.
»Was über die Tote gehört?«, fragt er und beißt in einen Schokoriegel. Immerhin hat er nicht »deine Freundin« gesagt.
Lina schüttelt den Kopf und fragt, was in dieser Nacht anliegt.
»Ein Fußballspiel, das übliche Besäufnis, Ruhestörung und dann die Prügeleien«, sagt Alex. »Wir spielen mit in der Champions League.«
»Hast du dir eigentlich so dein Leben vorgestellt? Ich meine, so als uniformierter Sheriff?«
Alex antwortet nicht. Nicht so wichtig. Hauptsache, sie sprechen nicht weiter über die tote Carolin. Fehlte noch, dass sie hier im Streifenwagen verhört wird.
»Ich sehe mich als Odysseus«, sagt Alex in ihr Schweigen hinein. »Eigentlich will ich nur nach Hause zu meiner Frau, aber die Einsatzwinde treiben mich über das Asphaltmeer.«
Es knackt im Funkgerät. Die Einsatzzentrale schickt sie zu einer Kneipe, in der es eine Schlägerei gab, die seltsamerweise schon vor Anpfiff des Spiels für zerschlagenes Inventar gesorgt hat.
Lina bestätigt, während Alex das Blaulicht einschaltet.
»Siehst du? Die Sirenen rufen uns. Zeus’ Befehle kommen durch den Äther des Funks. Würde mich nicht wundern, wenn wir gleich auf den einen oder anderen Zyklopen treffen. Aber Sirenen haben wir auch.«
Er schaltet das Martinshorn ein und gibt Gas.
»Hauptsache, wir stehen nicht gleich zwischen den Fronten, wenn es um die Eroberung von Troja geht«, erwidert Lina und vermerkt die Einsatzfahrt in ihrem Notizbuch.
Als Alex den Wagen vor der Kneipe zum Stehen bringt, werden sie schon von mehr oder weniger angetrunkenen Gästen erwartet. Ein Mann begutachtet sein zerrissenes Hemd und betupft mit einem Taschentuch eine blutende Stirnwunde. Eine ältere Frau hat ihre Hand auf seine Schulter gelegt und redet beruhigend auf ihn ein.
»Haben Sie uns gerufen?«, fragt Lina.
Der rund Vierzigjährige, dem ein blauer Fanschal um den Hals baumelt, nickt stumm und ist offensichtlich enttäuscht, dass mit Lina ihm ausgerechnet eine Frau zu Hilfe eilt.
»Was ist passiert?«, fragt Alex.
»Ich mach den Chinesen kalt!«, sagt der Fußballfan und blickt düster auf das blutverschmierte Taschentuch.
»Bevor Sie das tun, hätten wir noch ein paar Fragen an den Mann«, sagt Lina.
Deeskalation. Jedem das Gefühl geben, dass man sich um ihn kümmert. Die Situation beruhigen. Autorität zeigen. Notfalls mit ein paar Handschellen.
»Fragen? Ihr sperrt das Arschloch ein, oder ich mach ihn kalt. So einfach ist das.«
»Wo ist er denn?«
»Weg«, sagt die Frau mit belegter Stimme. »Ist einfach getürmt. Ein verfluchter Feigling.«
Lina zieht ihr Funkgerät hervor, um die Zentrale zu informieren.
»In welche Richtung ist er denn verschwunden?«
»Da lang«, sagt die Frau und zeigt auf die Kneipe.
Ein Mann, der ein paar Meter entfernt steht und die Situation beobachtet, nickt.
»Der ist noch da drin. Sitzt da und trinkt Bier«, erklärt er.
»Dann werd ich ihn mal herausbitten«, sagt Lina und weist Alex an, auf den Verletzten Acht zu geben.
»Seien Sie bloß vorsichtig«, sagt der etwas weiter weg stehende Mann und mustert Lina skeptisch von Kopf bis Fuß.
Kurz vor der Eingangstür dreht sie sich noch einmal und fragt den Fußballfan: »Brauchen Sie einen Arzt?«
»Ich lasse das später begutachten«, antwortet der, wobei er das Wort »begutachten« ausspricht, als würde er vor dem Amtsarzt stehen. Dann bittet er die Frau neben sich nachzusehen, ob in der Wunde Glassplitter stecken.
Lina betritt die Kneipe. Sie muss sich erst an das Dämmerlicht gewöhnen. Auf dem überdimensionalen Flatscreen stehen die Mannschaften einander gegenüber. Die Nationalhymnen werden abgespielt. Der Wirt deutet stumm und unbeteiligt auf einen jungen Chinesen, der vor einer Flasche Limonade am Tresen sitzt. Ein zierlicher etwa 30-jähriger Mann, der eher den Eindruck erweckt, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun.
Hier scheint sich niemand über die vorausgegangenen Kampfhandlungen aufgeregt zu haben. Das Spiel beginnt gleich, da will keiner was wegen einer Zeugenbefragung verpassen, denkt Lina.
Verletzt scheint der junge Mann nicht zu sein, im Gegensatz zu seinem Kontrahenten, der gut und gern
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