Seelensplitter: Thriller (German Edition)
überhaupt in die fremde Wohnung gelangt? Wieso wird ein Selbstmord vorgetäuscht und dann nachträglich ein Laken über die Leiche gelegt? Und was hat sie selbst mit alldem zu tun? Warum hat Astrid sie besucht? Wollte sie herausbekommen, ob sie in der Wohnung von Carolin saubere Arbeit geleistet hat? Nur warum um alles in der Welt sollte Astrid Carolin umbringen? Soweit Lina es beurteilen konnte, hatten sich die beiden Frauen gut verstanden.
Lina öffnet ihren Mantel und schlägt den Weg zum Stadtpark ein. Zwei Jogger in Trainingsanzügen der Polizei ziehen an ihr vorbei. Plötzlich hat sie wieder das Gefühl, beobachtet zu werden.
Lina bückt sich nach einer leeren Zigarettenschachtel auf dem Boden und sieht sich dabei unauffällig um. In einiger Entfernung schlendert ein Mann betont gelassen hinter ihr her, bleibt einen Moment stehen und kommt dann langsam auf sie zu.
Was soll das werden?, fragt sich Lina. Stehe ich unter Verdacht? Wer um Himmels willen will mir da etwas anhängen?
8
G eführte Gruppe«, so hatte Dr. Severin Carlheim seine Methode genannt. Genau genommen verbarg sich nicht mehr dahinter als die zusätzlichen Einzelgespräche, die er zwischen den Gruppensitzungen mit den Teilnehmern führte. Auch Lina hatte er zum Gespräch gebeten und ohne Umstände gefragt, warum sie sich in der Gruppe so »reserviert und kontrolliert« verhalte. Schließlich sei dies eine Chance, die sie nutzen könne, indem sie andere mit ihren Erfahrungen konfrontiere.
Therapeutengeschwätz.
»Lina, Sie blenden Ihre Vergangenheit vollkommen aus. Aber genau diese Vergangenheit führt in Ihnen ein Eigenleben. Da geht es um Muster.«
»Ich bin in einer Pflegefamilie aufgewachsen. Man hat sich bemüht. Es ist alles in Ordnung.«
Der Therapeut hatte sie skeptisch angesehen und ihr geraten, genau dies so in der Gruppe zu äußern.
»Sehen Sie sich doch mal an, was dann passiert.«
Wie es aussah, bestand seine Methode darin, die Teilnehmer zu ermuntern, mehr und mehr von sich preiszugeben. Sie brauchte also eine Story, damit man sie in Ruhe ließ.
»Was halten Sie von einem gemeinsamen Ausflug?«, fragte Carlheim, und sie hatte geantwortet: »Warum nicht?«
Bereitschaft zur Mitarbeit zeigen. Dabei sein. Nicht auffallen.
Wenn sie nur nicht immer Svens ironischen Unterton hören würde, mit dem er alles lächerlich machte.
Sven.
Kennen gelernt hatte sie ihn auf der Polizeischule, und es war schon nach der ersten Unterrichtsstunde, in der er über Fahndungstechniken referiert hatte, klar gewesen, dass er sich für sie interessierte.
Er lächelte ihr unverhohlen zu, während er neben der Leinwand stand, auf die sein Beamer eine Ablaufgliederung bei der Erstellung von Phantombildern warf.
»Auch wenn der Eindruck noch frisch ist: Zeugen nie um eine Beschreibung der gesuchten Person bitten. Fragen Sie, welchem Schauspieler oder Politiker sie ähnelt. Das Ganze lässt sich anschließend verfeinern. Und notieren Sie sich jede Formulierung, um sie später korrekt weitergeben zu können.«
Als sie sich in der Pause vor dem Gebäude eine Zigarette ansteckte, trat er auf sie zu und fragte sie nach ihrer Schulbildung. Als sie nicht gleich antwortete, lächelte er und sagte: »Irgendwie passen Sie da nicht rein. Ich meine in die Truppe da drinnen.«
Schön. Das wusste sie selbst. Nicht richtig reinpassen, daran gewöhnt man sich, hätte sie am liebsten geantwortet, doch über ihre Lippen kam lediglich ein »Aha?«.
Er bohrte weiter, bis sie damit herausrückte, dass sie Abitur gemacht und ein Psychologiestudium abgebrochen hätte.
Er pfiff durch die Zähne, schüttelte den Kopf und sagte: »Was wollen Sie dann im mittleren Dienst?«
Sie redete sich damit heraus, dass für sie der normale Streifendienst eine Herausforderung sei, und hielt sich ansonsten zurück. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass sie Blicke der anderen Teilnehmer auf sich zogen und einige anfingen zu tuscheln.
Sven schien das nicht zu interessieren. Er drehte den anderen den Rücken zu und gestand Lina, dass er seine Vorträge für viel zu steif hielt.
»Ich wünschte, ich könnte euch mehr begeistern.«
Natürlich hatte sie widersprochen. Dann sprachen sie über die wachsende Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen und die Herausforderungen, die eine Tätigkeit bei der Mordkommission mit sich brachte.
Nur vier Tage später lud er sie zu einem »kleinen Essen« ein. Er wolle einen »letzten Versuch« unternehmen, sie für die Laufbahn bei der Kriminalpolizei
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