Seelensplitter: Thriller (German Edition)
mehr.«
»Carolin war sehr sensibel«, sagt Pia. »Mich hätte es damals schon nicht gewundert, wenn sie sich umgebracht hätte.«
»Hast du sie öfter getroffen?«, fragt Lina nach, doch Pia winkt ab.
»Ab und an«, sagt sie. »Wir haben gelegentlich einen Kaffee getrunken, über dies und das geplaudert, aber nichts Wichtiges.«
»Und du hast keine Ahnung, wen oder was sie mit den alten Monstern gemeint haben könnte?«
Pia schüttelt den Kopf.
Isabel sagt: »Ich schon.«
Alle sehen sie überrascht an, und Pia fragt: »Dürfen wir das auch wissen?«
»Es muss mit der Therapie zusammenhängen, so viel ist klar«, sagt Isabel. »Vielleicht mit ihrer Vergangenheit. Wir alle haben über unsere Kindheit gesprochen, über unsere Ängste. Außer Lina, die sich nicht erinnern kann. Oder, Lina?«
Lina schüttelt stumm den Kopf.
»Ich verstehe das alles nicht«, sagt Pia.
»Die Polizei fragt nach Astrid«, sagt Isabel, »Carolin besucht Lina und spricht von Monstern. Lina findet Carolins Leiche und … und … da gibt es doch nur diesen einen gemeinsamen Nenner. Unsere Therapie.«
Im Flur der Toten hängt ein Foto von mir, denkt Lina, mit einer gefälschten Nachricht an mich. Außerdem hatte sie nicht nur von Carolin, sondern auch von Astrid Besuch bekommen.
Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Mordkommission die anderen aus der Gruppe verhören wird. Hat Lina doch eine aus der Gruppe damals auf ihr Geheimnis aufmerksam gemacht? Gibt es jemanden, der oder die das lose Ende des Fadens, den sie aus Versehen in die Runde geworfen hatte, aufgenommen hat und erkennen konnte, wohin er führt?
Lina war sich nicht mehr hundertprozentig sicher, ob ihr damals nicht doch die eine oder andere vertraulichere Mitteilung herausgerutscht war. Sie war Kompromisse eingegangen und hatte über ihre Kindheit in der Pflegefamilie gesprochen.
Vertrauliches hatte sie eigentlich nur dem Therapeuten unter vier Augen gesagt. Hatte er Informationen weitergegeben oder gar weitere Nachforschungen angestellt? Ist es möglich, dass Carolins Tod etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun hat?
Sie muss die Tage auf Hooge noch einmal minutiös rekonstruieren, die Erinnerungsfragmente wie Puzzleteile zusammenfügen, versuchen, die Bruchstücke der Gespräche, an die sie sich erinnern kann, zu etwas sinnvollem Ganzen kombinieren. Auch wenn sie Gefahr läuft, die Bombe platzen zu lassen, die sie damals selbst gezündet hat. Nur ins Gefängnis wird sie niemals gehen.
»Womöglich hat Carolin doch Selbstmord begangen«, sagt Christina. »So genau kann man das doch nicht sagen. Und sollte es so sein, dann war es ihre Entscheidung.«
Niemand sagt etwas. Die Frauen nicken nur stumm.
Lina bricht als Erste auf. Zum Abschied nimmt Isabel sie beiseite und bittet sie, sich zu melden, wenn sie etwas Neues in Erfahrung bringen sollte.
»Wir wären dir alle sehr dankbar.«
Lina geht am Weiher entlang zurück. Eine junge Frau in einem schlabberigen Pullover und mit ungekämmten Haaren hat sich zu den beiden Studenten auf den Steg gesetzt. Lina bleibt stehen und beobachtet einen Reiher, der reglos auf einer kleinen Insel mitten im Wasser steht und nach Fischen Ausschau hält.
Vertraut, denkt Lina. Die Frauen wirken vertraut miteinander und keineswegs so, als würden sie sich nur sporadisch treffen.
»Lass uns weitergehen«, sagt plötzlich jemand neben ihr.
Lina wirbelt herum.
»Astrid?«
»Sie müssen uns nicht unbedingt zusammen sehen.«
Sie sieht anders aus als beim letzten Mal. Ihr Haar ist ungewaschen und strähnig und ihre Schminke im Gesicht verschmiert. Sie geht leicht gebückt und wirkt gehetzt.
»Ich weiß nicht, von wem das ausgeht«, sagt sie. »Aber ich weiß, dass du eine große Rolle spielst.«
»Unsinn«, sagt Lina. »Was soll ich denn damit zu tun haben?«
»Gut möglich, dass du dir gar nicht klar …«
»Was sollen diese Andeutungen?«, unterbricht Lina sie.
»Mach dich auf die Suche«, sagt Astrid und sieht sie ernst an.
»Warum ich? Vielleicht hast du was ausgeplaudert …«
»Du meinst den anonymen Anrufer?«, fragt Astrid. »Nein, nein. Die feine Damenrunde da drüben hat was zu verbergen, und das hat aus irgendeinem Grund mit dir zu tun. Und mit mir natürlich auch.«
Astrids Mundwinkel zucken leicht.
»Was geht mich das eigentlich an?«, sagt Lina. »Wie wär’s, wenn ich mich da ganz raushalte?«
Astrid lacht gekünstelt.
»Das wirst du nicht mehr können, Lina. Und zwar nicht nur wegen deines Kollegen Sven Emmert,
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