Seelensplitter: Thriller (German Edition)
hockte und Brote aß, kam Ralf herein und fragte nach der Katze. Sie schüttelte nur stumm den Kopf. Während er suchte, las sie in einem Kinderbuch, das die Mama ihr geschenkt hatte.
Lina wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Sie hatte schon das Licht in der Küche eingeschaltet. Plötzlich stürmte Ralf herein. Vorwurfsvoll hielt er ihr den geöffneten Eimer vor die Nase. Die Katze darin rührte sich nicht mehr. Ihre Zunge war blau angelaufen und hing ihr aus dem Maul.
»Du Sau! Du hast Mamas Katze getötet! Du hast sie erstickt.«
Er beschimpfte sie lauthals immer weiter. Die ganze Zeit hielt er den Eimer mit der toten Katze in die Höhe.
»Dafür wirst du bezahlen!«, sagte er. »Darauf kannst du wetten!«
Lina konnte weder weinen noch schreien, sie saß wie gelähmt da und blätterte dann in dem Buch, eine Geschichte von Kindern, die Ferien auf einem Bauernhof machten.
Schließlich verkündete Ralf, dass er die Katze im Kanal in der Nähe des Hauses »wasserbestatten« würde. Jetzt sofort, bevor das Vieh anfangen würde zu stinken.
Irgendwann kam er zurück und setzte sich zu ihr an den Tisch. Lina spürte genau, dass er schon wieder etwas Grausames ausheckte. Verzweifelt kämpfte sie gegen ihre Angst an und gegen ihren Kummer über den Verlust der geliebten Katze, und sie schwieg.
»Das wird die Mama umbringen«, sagte er. »Wir werden sagen, dass die Katze einfach weggelaufen ist. Mama wird denken, dass sie sicher bald wiederkommt. Damit vergeht die Zeit. Und du hältst den Mund. Das ist deine einzige Chance. Denn du bist blöd. Du wirst immer blöd bleiben.«
Die Katze wurde wochenlang gesucht. Die Pflegeeltern stellten einen Teller mit Futter vor die Tür. Sie suchten sämtliche Winkel des Hauses ab, leuchteten den Keller mit einer Taschenlampe aus, rückten Möbel beiseite in der Hoffnung, dass sie sich dort irgendwo versteckt hatte.
Dann begann es.
Zuerst kamen die »Steuern«. So bezeichnete Ralf die Geldbeträge, Süßigkeiten oder Geschenke, die sie an ihn abzutreten hatte. Später hießen sie »Lösegeld«, »Zinsen« oder einfach nur »Familienabgabe«. Manchmal streckte er einfach nur seine Hand aus.
Und Lina zahlte.
Dann begann er, an ihr herumzufummeln. Er griff ihr zwischen die Beine. Er wollte sie nackt sehen.
»Warum tust du das?«, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.
Ralf grinste und sagte: »Das ist Schicksal, was ist jetzt?«
Lina zahlte.
»Was machst du bloß mit deinem Taschengeld?«, fragte die Mama ungläubig, als sie um Geld für ein Geschenk bat, da eine Mitschülerin sie zu ihrem Geburtstagsfest eingeladen hatte.
Irgendwann stiegen die »Abgaben« und wurden zu »Tarifen«. Sie müsste nur die Hälfte zahlen, wenn sie sein »Ding« in den Mund nehmen würde.
Lina begann die Mülleimer der näheren Umgebung nach Pfandflaschen zu durchstöbern. Sie verdiente Geld, indem sie gegen ein paar Cents einen Skateboard-Putzdienst anbot. Die Jungen in ihrer Klasse fanden es cool, sich ihre Bretter putzen zu lassen. Ralfs »Tarife« stiegen.
Eines Tages verkündete Ralf, er habe die Nase voll.
»So geht es nicht weiter. Du blöde Kuh hast genau drei Möglichkeiten. Entweder du verpisst dich und gehst zurück zu deinen echten Eltern, oder du zahlst gefälligst das, was ich verlange, oder du nimmst verdammt noch mal endlich mein Ding in den Mund. Kapiert, blöde Kuh?«
»Ich brauche Zeit«, sagte Lina.
»Drei Tage«, sagte Ralf. »Dann bist du fällig.«
Lina durchwühlte heimlich die Unterlagen im Schreibtisch ihrer Pflegeeltern und fand schließlich eine Art Urkunde mit einem Wappen darauf. Oben stand ihr Name und der Name einer fremden Frau. Sie hatte ihn noch nie gehört. Eine Adresse fand sie weiter unten auf der Seite.
Gleich am nächsten Tag machte sie sich auf den Weg. Sie läutete an der Haustür, auf der der fremde Name stand. Eine Frau öffnete. Sie starrte sie entsetzt an und fragte: »Was willst du?«
Lina konnte sich nicht daran erinnern, diese Frau jemals zuvor gesehen zu haben.
Die Fremde bat sie in die Wohnung, in der es nach Kohl und Wurst roch.
»Du hast … also … du hast neue Eltern?«
»Ja. Nein. Kann ich hier wohnen?«, fragte Lina. »Ich brauche nur ein Bett, nicht mal ein eigenes Zimmer.«
»Das … ist unmöglich«, sagte die Frau und musterte sie von oben bis unten. »Dass du schon so groß bist!«
Lina starrte die Frau an. Nichts an ihr oder an der Wohnung kam ihr bekannt vor. Ob es möglich war, nach so kurzer Zeit alles zu
Weitere Kostenlose Bücher