Seelensplitter: Thriller (German Edition)
Lagerhallen, Anlegern und Bürogebäuden vorbei, an einem Kühlturm, der zu einer Seniorenresidenz umgebaut wurde, mit einem eigenen Tunnel, durch den die Bestattungsunternehmen ihre Fracht abholen, damit ihr Anblick den zahlungskräftigen Alten nicht die Laune vermiest. Nach dem Leben wird’s immer unterirdisch. Dabei stellt Lina sich die Fahrt im Leichenwagen noch am schönsten vor. Bewegung ist immer gut.
Die Fähre steuert auf den Oevelgönner Fähranleger zu. Festgemacht sind hier die Museumsschiffe, die vor mehr als hundert Jahren unter Segeln oder dampfgetrieben als Fischkutter, Zollboote oder Schlepper durch das Elbwasser pflügten.
Ein Restaurant und ein kleinerer Imbiss versorgen die Besucher mit Kaffee, Kuchen, Bier und Fischbrötchen.
Che Ling steht im Trenchcoat am Anleger und wartet. Selbst auf die Entfernung kann Lina ihm ansehen, dass er sich nicht auf ihr Treffen freut. Dennoch hat er sich zum Glück darauf eingelassen und sich mit einem Fotoapparat um den Hals perfekt als Tourist getarnt.
Lina war niemand sonst eingefallen, den sie hätte fragen können. Ihr Kollege Alex ist für diese Aufgabe denkbar ungeeignet. Schon aus schlechtem Gewissen seiner Frau gegenüber würde ihm auf der Reeperbahn der Schweiß ausbrechen. Aber dort musste sie hin, wenn sie mehr herausfinden wollte, so viel war klar.
Wegen Che Lings krimineller Vorgeschichte muss sie jedenfalls nicht fürchten, dass er einen guten Draht zur Polizei hat.
Lina geht an ihm vorbei und setzt sich auf eine der Bänke am Anleger. Che Ling folgt ihr unauffällig, beflissen mit seiner Kamera hantierend und fotografierend, und setzt sich dann wie zufällig neben sie.
Lina findet seine vorsichtige und etwas unsichere Art sympathisch.
»Ich lächle Sie jetzt an, wie chinesische Touristen das zu tun pflegen, und frage Sie nach dem Weg«, flüstert Che und sieht Lina nervös an.
»Keine Sorge, das mit meiner Beschattung ist nur ein Verdacht«, sagt Lina leise. »Ich hab hier niemanden gesehen, der von der Mordkommission sein könnte. Auch die Mafia ist nicht hinter uns her.«
»Dann könnten wir dieses Theaterspielen ja lassen«, erwidert Che Ling. »Ehrlich gesagt habe ich nicht verstanden, worum es eigentlich geht.«
»Ich hab es auch noch nicht richtig erklärt.«
»Ich weiß, dass Sie Polizistin sind, aber das sag ich gleich: In illegale Geschichten lass ich mich nicht reinziehen. Zwei Jahre Billwerder haben mir gereicht.«
Lina sieht sofort die Mauer der gefürchteten Strafanstalt in einer der trostlosesten Gegenden Hamburgs vor sich. Auch Schwerverbrecher sitzen dort ihre Strafen ab.
»Sie haben doch nichts Illegales vor?«, fragt Che, »oder, Frau Andersen?«
»Lina. Ich heiße Lina. Wir sollten uns duzen.«
»Gut. Lina. Aber ich fürchte, ich bin der Falsche. Du bist Polizistin, wenn dir die Polizei was anhängen will … tut mir leid, das ist eine höhere Liga.«
»Ich werde da in etwas reingezogen, aber ich weiß nicht von wem und warum«, sagt Lina. »Genau das will ich herausfinden.«
»Aber Sie … ähm, du und ich, wir kennen uns doch kaum.«
»Genau. Deshalb bist du ja auch perfekt. Es geht nur um ein paar kleine Auskünfte.«
Lina berichtet ihm von Carolins Besuch, von der Warnung vor Monstern und davon, dass sie kurze Zeit später Carolins Leiche gefunden hat.
»Und man entdeckte in der Wohnung eine Nachricht an mich, die Carolin nicht geschrieben haben kann.«
»Mord? Du willst mich allen Ernstes …«
»… nein, in gar nichts will ich dich reinziehen! Es geht nur um ein paar Auskünfte zu einer Therapiegruppe, mit der das irgendwie zusammenhängen muss.«
»Und mit dir«, sagte Che Ling und schießt aus Nervosität ein paar Fotos. Lina sieht ihm an, dass er hinter seinem Sucher fieberhaft nachdenkt.
»Das Beste ist«, sagt Lina, »ich kann dir weder etwas zahlen, noch gibt es eine Ehrenurkunde.«
Che nickt.
Dann schüttelt er den Kopf. »Ich kann das nicht machen. Ich bin vorbestraft. Wenn die Polizei rausfindet, dass ich … Dann bin ich wegen Behinderung von Mordermittlungen dran, und die sperren mich in einen Block mit den Hardcore-Insassen, und wie es da abgeht, willst du gar nicht wissen.«
Die Fähre überquert in einer Diagonale die Elbe und steuert Finkenwerder an. Möwen ziehen kreischend ihre Runden über dem Schiff und werden von ein paar Passagieren mit Keksen und Toastbrotscheiben gefüttert. Über ihnen fliegt ein riesiges Transportflugzeug die Airbus-Werke an, und vor ihnen rauscht ein
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