Seelensplitter: Thriller (German Edition)
nun ein Flieger der Lufthansa die Rollbahn.
Und wenn sie sich einfach aus dem Staub macht? Was lässt sie schon zurück? Andererseits würde eine Flucht sie natürlich erst recht verdächtig machen. Und die Zielfahndung gilt als äußerst effektiv. Die spüren Flüchtige selbst in Lateinamerika auf.
Dennoch ist dieser Gedanke reizvoll. In ein Land ans Mittelmeer reisen, sich mit Kellnern oder Putzen durchschlagen. Alles hinter sich lassen. Abends mit einem Wein am Meer sitzen und dem Sonnenuntergang zuschauen …
Che Ling hat sich seit ihrem gestrigen Zusammentreffen auf der Elbfähre noch nicht gemeldet. Ob er es sich doch noch anders überlegt? Sie könnte es ihm nicht verdenken. Denn was gingen ihn ihre Probleme an? Und wenn bei seinen Recherchen etwas schiefgehen sollte, ist sie sicher die Letzte, die ihm helfen kann.
Eine Kellnerin wässert mit einer Gießkanne die Pflanzen in den Betonkübeln.
Man darf Blumen nicht bei Sonnenschein gießen, denkt Lina. Ebenso wenig, wie man in Panik verfallen darf, wenn man etwas zu verbergen hat.
Ein Vierjähriger geht schnurstracks auf einen der Kübel zu und beginnt hingebungsvoll in der nassen Erde zu graben.
Ihr Anruf auf der Wache, den sie noch am Morgen erledigt hatte, war nicht besonders motivierend gewesen.
»Da ist noch nichts entschieden, sowas dauert eben«, hatte der diensthabende Kollege gesagt. Und dass auch er hoffe, dass die Leute »in die Gänge kommen«, weil er keinen »Bock« mehr auf diese dauernden Überstunden hätte, die sich nun noch mehr häuften, seitdem Lina fehle.
Lina hatte dann die Nummer des Präsidiums gewählt, um sich mit der Inneren verbinden zu lassen. Bevor das Rufzeichen erfolgte, hatte sie aber wieder aufgelegt.
Sie nippt an ihrem Espresso, als ihr Handy klingelt. Lina sieht aufs Display. Es ist Sven. Sicher ein Kontrollanruf.
»Lina? Wo steckst du? Was sind da für Geräusche im Hintergrund?«
»Flughafen«, antwortet Lina ohne jede weitere Erklärung.
»Du darfst das Land jetzt nicht verlassen«, sagt Sven. »Du bist eine wichtige Zeugin in den laufenden Ermittlungen.«
»Ich weiß.«
»Ich mein’s ernst. Bring mich nicht in Teufels Küche.«
»Dann pack ich meine Koffer eben wieder aus«, sagt Lina.
»Du kannst doch nicht einfach …«
»Ich trink hier nur einen Kaffee«, sagt Lina.
Sie sollte Sven nicht provozieren, sonst würde er nur noch mehr versuchen, sie zu blockieren.
»Lina, wir haben Astrid gefunden.«
Er klingt gar nicht so überheblich wie sonst.
»Na, dann hast du ja, was du wolltest.«
»Sie ist tot. Sie wurde grauenhaft zugerichtet.«
Lina zuckt zusammen.
»Was … was ist passiert? Ist sie …«
»Sie … also … sie wurde mit Strom langsam zu Tode gefoltert. Strommarken am ganzen Körper. Der Gerichtsmediziner sagt, dass er so etwas noch nicht gesehen hat.«
Lina schweigt.
»Lina?«
»Ja.«
»Hat sie sich bei dir gemeldet?«, will Sven wissen. »Hattet ihr Kontakt miteinander?«
Lina verneint, doch er gibt sich keineswegs zufrieden mit ihrer Antwort.
»Hör zu, wir haben jetzt zwei tote Frauen. Nimmst du das gar nicht ernst? Warum redest du nicht mit mir?«
Weil ich nicht will. Weil du ein Arsch bist. Weil ich es selber nicht weiß.
Plötzlich sieht sie wieder den toten Ralf vor ihrem inneren Auge. Der laut heulende Vater, der die Leiche seines Sohnes auf den Rasen legt. Ins Haus rennt. Blaulicht. Dann der Notarzt, der sich über den leblosen Körper beugt. Der den Vater ansieht und stumm den Kopf schüttelt. Die verzweifelte Mutter, die von einer Polizistin gestützt wird. Die Mutter schreit.
»Lina?«
»Ich denk noch mal drüber nach und rufe zurück«, sagt Lina und will auflegen.
»Weißt du, wo dieser Psychotherapeut steckt, der damals eure Therapiegruppe geleitet hat?«
»Sieh doch im Telefonbuch nach«, sagt Lina.
»Der Mann ist nicht zu finden. Steht auch nicht im Melderegister. Wie vom Erdboden verschluckt.«
»Ich hab Carlheim seit damals nicht mehr gesehen. Ich meine, nachdem die Therapie beendet war.«
»Bist du sicher?«, hakt Sven nach, und sie hört ihm an, dass er ihr kein Wort glaubt.
»Was war mit der Kamera hinter der Maske? Ich meine, habt ihr Filme auf Carolins PC gefunden?«
»Du weißt, das sind absolut vertrauliche Informationen. Die Festplatte war leer. Mit einem professionellen Löschprogramm bearbeitet.«
Der gute Sven will mit seiner Offenheit Vertrauen schaffen.
»Was ist mit Paul Ender?«, fragt Lina. Das Gespräch nicht ausschlagen, so tun,
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