Seelensplitter - Unsterblich wider Willen (German Edition)
versetzte. Nein. Jane schien sich tatsächlich zu freuen, wegen ihr, der Tochter, die es nie geschafft hatte, ihren Ansprüchen zu genügen. Aber wer wusste schon, was eine Entführung so alles mit einer Mutter anstellen konnte. Vielleicht hatte sie sich ja verändert. Vielleicht hatte sich alles verändert…
„Ja“, murmelte Melica und begann hilflos ihre Hände zu kneten. Hände, die in einem Paar schwarzer Lederhandschuhe steckten. Sie hatte sie sich…ausleihen müssen, das Risiko, dass sie von jemandem berührt wurde, war einfach viel zu groß.
„Also…“, begann Jane und schluckte. „Ich…Gott – Melica!“ Sie schüttelte ungläubig den Kopf, bevor sie erneut hart schluckte und die Arme nach ihr ausbreitete.
Gerührt machte Melica einen Schritt auf sie zu. Sie lächelte leicht, als sie in die warme Umarmung gezogen wurde.
Jane atmete tief ein. Wann hatte ihre Mutter sie das letzte Mal umarmt? Melica konnte sich nicht erinnern.
Ein dumpfes Schluchzen drang an ihre Ohren. Einen kurzen Augenblick später wurde sie sanft zur Seite geschoben.
Jane musterte sie mit einem verlegenen Ausdruck auf dem solariumgebräunten Gesicht. „Du musst müde sein“, sagte sie schließlich und fuhr sich fahrig durchs zerzauste Haar. „Gott, bin ich froh, dass du wieder da bist! Noch ein Interview hätte ich einfach nicht durchgestanden.“
„Interview?“
„Du bist vor genau neun Tagen verschwunden. Dein Vater und ich haben natürlich die Polizei informiert. Ganz Deutschland hat nach dir gesucht, Mädchen. Dein Verschwinden stand in allen Zeitungen. Schließlich passiert es nicht jeden Tag, dass jemand aus einem Krankenhaus entführt wird. Ich muss sofort die Polizei anrufen, sie müssen wissen, dass du gesund zurück bist.“ Jane verstummte und bedachte sie mit einem forschenden Blick. „Du bist doch gesund?“
Gesund? Melica musste unwillkürlich grinsen. „Mir geht es gut, Mama. Ich bin vollkommen gesund.“ Jedenfalls wenn man außer Acht ließ, dass ihr Herz nicht mehr schlug und dass sie mit ihrer Körpertemperatur ein Ei braten könnte. Sie dankte Jonathan aus ganzem Herzen, dass er daran gedacht hatte, sie in einen dicken Pullover zu stecken. Hätte sie etwas anderes getragen, wäre Jane mit Sicherheit aufgefallen, wie warm sie doch war.
Aber wer weiß? Vielleicht war ihr ja doch etwas aufgefallen.
Sie ließ sich auf jeden Fall nichts anmerken, nickte nur erleichtert und hielt Melica die Tür auf.
Gedankenverloren trat Melica einen Schritt vor – und blieb stehen. Sie machte ein verdutztes Gesicht. Was war denn jetzt los? Sie versuchte es erneut, doch das Ergebnis blieb das Gleiche. Sie rührte sich keinen Zentimeter, stand viele Sekunden lang regungslos vor der Tür, verwirrt und mit Entsetzen in jeder Faser ihres Körpers. Schien ganz so, als hätte Jonathan vergessen, ihr davon zu erzählen.
„Melica?“, fragte Jane leise.
„Ja?“
„Bist du dir sicher, dass es dir gut geht?“
„Ja, klar. Warum?“
„Du bewegst dich nicht.“ Jane zuckte sichtlich irritiert mit den Schultern.
„Das ist mir auch schon aufgefallen, Mama.“
Jane schenkte ihr einen besorgten Blick, fast so, als frage sie sich, ob ihre Tochter noch alle Tassen beisammen hatte. Nicht ganz ungerechtfertigt, wie Melica zugeben musste. Warum zum Teufel kam sie nicht durch diese Tür?
„Könntest du jetzt bitte reingehen?“
Melica tat ihrer Mutter den Gefallen – wenn auch nicht so, wie sie es sich gewünscht hatte. Denn in dem Augenblick, in dem Janes Worte an ihr Ohr drangen, verschwand ihre Starre mit einem Mal. Melica kippte um. Mit einem ungläubigem Gesicht und mitten durch die geöffnete Tür.
Wenn Jane gerade schon besorgt gewesen war – nun, dann gab es kein Wort, das ihren jetzigen Zustand beschreiben könnte. „Soll ich dich ins Krankenhaus fahren?“, fragte Jane zögerlich. Wenige Sekunden später gab sie sich selbst die Antwort: „Ja, das wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee. Ich weiß ja nicht, was dir alles angetan wurde. Bestimmt hast du psychische Schäden.“
Kopfschüttelnd setzte sich Melica auf. „Mir geht es wirklich gut. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen, ja? Ein Besuch im Krankenhaus ist völlig unnötig.“
„Aber du bist entführt worden! Das kannst du doch gar nicht ohne professionelle Hilfe verarbeiten!“
So sehr sie die ungewohnte Sorge ihrer Mutter auch rührte – so langsam verlor Melica die Nerven. „Ich bin psychisch total gesund, Mama. Meine
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