Seelensturm
hinter uns sagen. Er hatte im Türrahmen gestanden und ihre Lebensgeschichte mit angehört. Jetzt kam er langsam auf uns zu und ließ dabei Alegra nicht aus den Augen. Sie erhob sich und lief ihm in seine Arme.
»Ich bin stolz auf dich, mein Schatz. Du hast endlich einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht«, lobte er sie.
Sie weinte hemmungslos für ein paar Minuten, während Amy und ich keinen Ton hervorbrachten. Wir mussten Alegras Geschichte erst mal verdauen.
»Ich hatte euch zwar gesagt, dass sie einen Modelauftrag hat, doch das stimmte nicht. Die letzten vier Tage hat sie das Grab ihrer Eltern besucht, um endlich mit diesem Kapitel ihres Lebens abzuschließen.« Mir fehlten die Worte. Dieses Schicksal hatte ich hinter dieser perfekten Fassade nicht erwartet. Auch Amys Betonwand war nun endgültig eingebrochen. Sie seufzte tief betrübt.
Alegra löste sich aus seinen Armen. »Ich entschuldige mich bei euch für mein schlechtes Benehmen. Ihr hattet Recht, doch ich konnte nicht anders. Das Grab meiner Eltern zu besuchen, kostete mich sehr viel Kraft. Aber dank Dr. Miller, der mich die ganze Zeit über betreute und der mich auch begleitete, konnte ich endlich einsehen, dass diese Zeit endgültig vorbei ist und ich dieses Kapitel in meinem Leben abschließen kann. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie frei ich mich seither fühle.«
Sie lief auf Amy zu, blieb direkt vor ihr stehen und reichte ihr die Hand. »Verzeihst du mir?«
Auch Amy hatte sich vom Sessel erhoben und sah Alegra eine Weile an. Sie sah ihr direkt in die verweinten Augen. Jetzt lag es an ihr, dass endlich Frieden einkehrte zwischen uns. Gespannt wartete ich darauf, was meine Schwester tun würde.
… Amy schlug ihre Hand aus, zog sie dafür aber herzlich in ihre Arme und drückte sie.
Kapitel 20
Ratlos lag ich in dieser Nacht in meinem Bett und konnte nicht schlafen. Alegras Geschichte hatte mich nachdenklich gestimmt. Den Abend hatten wir gemeinsam verbracht und wir sprachen über alle Streitigkeiten und Missverständnisse, die wir jemals hatten. Die Aktion mit den zersägten High Heels ließ uns schmunzeln, auch wenn sie den Schuhen noch nachtrauerte. Als Amy ihr den Gutschein übergab, fing sie wieder an zu weinen und ein weiteres Mal lagen sich die beiden in den Armen.
Wir hatten uns in Alegra getäuscht und doch blieb ein kleiner Restzweifel. Onkel Finley würde es nun noch schwerer fallen, sich von ihr zu trennen. Hatte er dies überhaupt vor? Natürlich war es kein leichter Brocken, den Alegra mit sich herumschleppte, doch was nutzte uns der Frieden? Mit den Taluris im Nacken würde er sich von ihr trennen müssen.
Die folgende Zeit verlief harmonisch. Für mich war es ungewohnt und auch Amy musste sich daran gewöhnen, doch je mehr Stunden sie mit Alegra verbrachte, desto lockerer wurde sie. Es kam sogar soweit, dass sie ihr ein paar teure Kleidungsstücke schenkte, welche Amy mit großem Jubel annahm. Ich selbst hielt mich zurück, da ich glaubte, dass uns das große Drama noch bevorstand. Ich war mir sicher, dass Onkel Finley mit uns bald das Haus und Bayville verlassen würde. Er musste dafür nur Alegra loswerden. Wäre es da nicht einfacher, einen Streit mit ihr anzuzetteln? Stattdessen war die Stimmung so liebevoll und voller Glück, dass ich mich lieber öfters im C.O.B aufhielt, da ich das alles nicht ertragen konnte. Die neu gewonnene freundschaftliche Art, die Alegra uns entgegenbrachte, schien zwar ehrlich, aber das nützte momentan leider nicht viel.
Onkel Finley fand ich an diesem frühen Abend wie immer in seinem Arbeitszimmer. Ich klopfte an und wurde gleich hereingebeten. Das Zimmer, in dem nur noch sein Schreibtisch und ein paar leere Regale standen, wirkte kalt. Alle Bilder, Bücher und Büro-Accessoires hatte er verpacken lassen.
»Hast du kurz Zeit?«, fragte ich ohne Umschweife und schloss die Tür hinter mir.
»Klar, setz dich. Gibt es ein Problem?«, wollte er wissen, nahm einen Stapel Papiere und fing an, diesen zu sortieren. Seine Krawatte hatte er mal wieder gelöst und sie achtlos auf seinen Tisch geworfen.
»Das weiß ich noch nicht, das will ich eher von dir erfahren.«
Kurz sah er auf, ließ sich jedoch nicht von mir ablenken und sortierte konzentriert weiter. Er hatte wirklich keine Ahnung, was ich von ihm wollte.
»Hast du mit Alegra gesprochen?«
Er nahm sich mit seiner Antwort Zeit. Doch je länger er diese hinauszögerte, spürte ich seine Unentschlossenheit.
»Du
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