Seelensunde
gegeben, die nicht gut auf sie zu sprechen waren, sei es, dass sie zu viele Fragen gestellt hatte, sei es, dass sie Jobs ausgeschlagen hatte, die ihr einfach zu dreckig waren. Naphré hatte ihre Prinzipien. Sie tötete keine Kinder oder Heranwachsende. Vor jedem Auftrag prüfte sie sehr genau, ob es sich mit ihren Grundsätzen vereinbaren ließ. In einem Satz: Als Killer kümmerte sie sich ausschließlich um andere Killer. Nachfragen und Skrupel brachten einem in der Branche nicht gerade viele Sympathien ein.
„Es ist keiner von deinen früheren Auftraggebern. Du kommst nicht drauf, Naph.“ Butcher sah sie einen Augenblick lang mit leerem Blick an. „Mach es kurz, ja? Ich hätte es an deiner Stelle auch getan. Ich habe nie getötet, um jemandem Schmerzen zuzufügen, verstehst du?“ Naphré horchte auf, als er das sagte.
„Ich verstehe.“ Ihre Stimme war jetzt so ruhig wie die Hand,die die Pistole hielt.
Butcher leckte sich nervös die Lippen. „Es war niemand aus der Unterwelt.“
Interessant.
„Es war ein Setnakht.“
Sehr interessant. Sie hatte nie direkt etwas mit Sutekh zu schaffen gehabt, den die Sekte der Setnakhts kultisch verehrte. Sie wusste, dass Sutekh eine eigene Truppe hatte, Seelensammler, die nach Belieben die Grenze zwischen der Unterwelt und der Welt der Sterblichen überschreiten konnten und Schwarze Seelen jagten, die sie Sutekh zum Fraß mitbrachten. Außerdem nahmen sie ihren Opfern das Herz, um Osiris und Anubis und Ma-at, die Gerechtigkeitsgöttin, zufriedenzustellen.
„Warum sollte Sutekh meinen Tod wollen?“, fragte sie. Und wenn, warum sandte er dann nicht einfach einen von seinen Seelensammlern aus, einen von den Reapern, anstatt Butcher zu engagieren?
„Von Sutekh habe ich nicht gesprochen. Der hat für solche Fälle eigene Leute und braucht mich nicht dazu.“ Butcher hustete und spuckte neben sich auf den Boden. „Ich sagte doch: Es war ein Setnakht.“
„Okay. Also nicht Sutekh, sondern ein Setnakht. Und warum sollte einer von denen meinen Tod wünschen?“
Noch während Naphré das aussprach, kam ihr ein Gedanke. Sie hatte tatsächlich mal jemanden von dieser Sekte getroffen, Pyotr Kusnetzov. Es war im Fitnessklub gewesen. Er sah gut aus, schlanke Figur. Sehr wortgewandt, aufmerksam, charmant. Dunkel erinnerte sie sich daran, dass er vom Tempel der Setnakhts gesprochen und versucht hatte, sie dazu zu überreden, zu einem der Treffen dorthin zu kommen. Offensichtlich hatte er Interesse an ihr gehabt, aber Naphré hatte dankend abgelehnt. Er war nicht ihr Typ. Ging es darum? Verletzte Eitelkeit? Ein völlig verrückter Gedanke.
Butcher zuckte die Schultern. „Das weiß ich doch nicht. Danach frage ich nicht.“
Das nahm sie ihm ohne Weiteres ab. Butcher nahm seine Aufträge entgegen, ohne Fragen zu stellen, es sei denn, er brauchte Informationen, die zum Job gehörten. Welche Beweggründe hinter einem Auftrag standen, interessierte ihn grundsätzlich nicht.
Es war der einzige Punkt, in dem sie nicht übereinstimmten. Naphré wollte immer wissen, um wen es sich handelte, da sie an ihren Moralvorstellungen festhielt. Butcher hatte diese Bedenken nicht, solange das Honorar stimmte.
Aber jetzt, in ihrem Fall, konnte Naphré sich das nicht vorstellen. „Du hast diesen Job einfach so angenommen, Butcher? Das kann ich nicht glauben.“ Warum hatte er das getan? Naphré hatte gelernt, dass die Motive der Menschen meistens ziemlich banal waren: Habgier, sexuelle Begierde, manchmal auch die schlichte Not. Aber was war es hier? „Warum hast du das getan?“
„Hätte ich den Job nicht genommen, hätte es jemand anderes getan.“ Butcher hustete wieder. „Außerdem hat man mir ein nettes Sümmchen geboten. Schließlich muss ich an meine Altersversorgung denken.“
„Du warst nur scharf aufs Geld? Das kaufe ich dir nicht ab. Lass dir was Besseres einfallen.“
„Ist das wirklich so wichtig?“
Vielleicht hatte er recht. Es gab drängendere Fragen. „Dieser Setnakht-Jünger, von dem wir sprechen – hat er auch einen Namen? Telefonnummer? Adresse?“
„Website …“ Butcher musste über seinen Witz lachen, was einen weiteren Hustenanfall zur Folge hatte. Dieses Mal hatte er Mühe, wieder zu Atem zu kommen. „Nein, Naph, ich kenne den Namen nicht. Sie muss aber ein hohes Tier in ihrem Verein sein.“
„Sie?“
„Ja, sie. Sie hatte so einen Siegelring, einen in Gold gefassten Onyx mit einem Skarabäus und irgendwelchen Hieroglyphen darauf.“
Interessant.
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